An Herrn Hofrath und Professor von Klaproth,
Hochwohlgeboren, in Paris.
Tegel, den August, 1830.Links Notiz in fremder Schrift: "mund. den 9
September 1830."
Ew, haben mich durch [Ihren gütigen Brief](390) vom
1. v. M. sehr angenehm überrascht. Es ist von
hohem Werthe für mich, daß Ihnen meine letzte
Abhandlung einiges Interesse eingeflößt hat, u. daß Sie den
Hauptideen Ihre Zustimmung ertheilen. Ew, wissen aus eigner Erfahrung, daß
es man bei
Arbeiten
allgemeinen Arbeiten
über das Sprachstudium nicht selten
in den Fall kommt, auch über Sprachen reden zu müssen, die man nicht selbst
genau kennt, u. daß man alsdann von seinen Quellen abhängt. So
ist es mir in meiner eben erwähnten
Abhandlung
über das A gegangen. Mit dem Armenischen bin ich,
ohne selbst gerade viel Armenisch zu wissen, meiner Behauptungen,
wenn auch in Nebensachen Irrthümer seyn sollten, gewiß, weil die Sache zu klar
in der Sprache daliegt. Von den polynesischen Dialecten habe ich durch eignes
Lesen von Texten sichere Kunde, vom Japanischen glaube ich Alles zu Rathe
gezogen zu haben, was man in Europa gedruckt besitzt. Nur beim Chinesischen
mußte ich mich auf die einzige lebende Quelle beziehen, die ich nahe hatte. Es
ist mir daher sehr angenehm gewesen, mich aus Ew, Briefe über einige irrige
Behauptungen Hrn. NeumannsCarl Friedrich Neumann (1793–1870),
Orientalist. belehren zu können. Ich begreife, wie Hr. Neumann, indem er einige wirklich
scharfsinnige Conjecturen machte, geglaubt haben kann, Beweise dafür bei De Guignes u. Morrison zu
finden. So sagen beide bei ta, magnus, grand, great,
bei tai, summum, très-grand, very great. Ich halte
mich aber dabei nicht
nicht auf. Die Frage, die mich interessirt, ist: ob die Chinesische
Sprache einen Fall enthält, aus dem es wahrscheinlich wird, daß ein Ortsbegriff
die etymologische Grundlage eines Pronomen 1. oder 2. Person
gewesen ist? In diese Frage geht leider Ew, Brief gar nicht ein. Sie ist aber
die Hauptfrage bei meiner Abhandlung. Denn wenn sich
dieselbe bejahen ließe, so wäre ich doch Hrn.
Neumann, ungeachtet seiner übrigen irrigen Behauptungen u.
Uebersetzungen, für die Mittheilung Dank schuldig, u. so hätte er doch
im Chinesischen etwas Scharfsinniges aufgefunden. Ich muß nun gestehen, daß es
mir noch heute scheint, als sey dieser Fall bei 乃
nài
vorhanden. Denn dieser Charakter u. diese Sylbe bedeutet zugleich das
Pronomen 2. Person u. ist eine Conjunction, in der mir der Begriff von außerhalb, also ein Ortsbegriff zu liegen scheint. Da
ich mich aber doch in dieser Ansicht irren könnte, so
läge mir außerordentlich daran,
wäre es mir sehr wichtig,
hierüber durch Hrn.
Ew, u. Hrn. Abel-Remusat belehrt zu werden, u.
ich bitte Sie recht dringend darum. Ich würde dann wünschen, daß Ew, bestimmt
auf folgende
zwei
drei
Punkte einzugehen die Güte hätten.
1. Ew, sagen: nài ist
niemals
etwas andres, als eine Conjunction oder
Disjunc
Disjunction, u. nennen es eine paradoxe Meinung, daß
es zuweilen Pronomen sey. Haben Sie dies wirklich in dieser Allgemeinheit
behaupten wollen? oder haben Sie nur die nothwendige Beschränkung ve hinzuzufügen vergessen? Ich muß das Letztere
glauben. Denn sonst würden Sie nicht nur De
Guignes u. Morrison, sondern
auch Hrn. Remusat (Gr. nr.
262.) widersprechen, die alle einstimmig nài als ein Pronomen 2. Personae angeben. Dies genügt
aber, das Wort braucht nicht auch ein Pron. 3. personae zu seyn. In meiner
Abhandlung rede ich sogar immer nur von dem Prono-men 1. od. 2.
Person.
2. Ew, sagen: nài sey eine Conjunction oder
Disjunction. Bei so genauen Sprachzergliederungen, als von welchen hier die Rede
ist, genügt dies aber nicht. Ich hätte gewünscht, Ew, wären in den speciellen
Sinn dieser Conjunction eingegangen. Ew, übersetzen es also
auch, Sie nennen es aber auch disjunctiv. Um dies zu vereinigen, möchte
ich an den ursprünglichen Sinn von außerhalb, draußen glauben. Denn was man hinzunimmt, auch, u. was man trennt, aber, liegt draußen u. abgesondert. Dazu kommt nun noch, was man von
dem Bilde des schwer hervorgehenden Odems sagt. Die Partikel braucht gar nicht
mehr jetzt: außerhalb zu heißen, und kann doch ursp ursprünglich den Sinn gehabt haben.
3. Die letzte Frage ist nun: existirt ein wirklicher etymologischer Zusammenhang
zwischen der pronominalen u. der partikelartigen Bedeutung von nài? Ich kann mich noch jetzt nicht erwehren, an
einen solchen Zusammenhang zu glauben. Ein du od. ihr, ist ein Etwas, das man von sich
trennt, oder mit sich verbindet, ein aber, oder auch. Schon daß derselbe Laut u. dasselbe
Schriftzeichen diese beiden Bedeutungen hat, ist höchst merkwürdig, u. deutet
auf einen Bedeutungszusammenhang hin. Es scheint mir nicht so
unverdienstlich von Hrn. Neumann,
darauf aufmerksam gemacht u. eine Erklärung versucht zu haben. Ich
bitte aber Ew, wohl zu bemerken, daß ich
gar nicht auf die von Hrn. Neumann
übersetzten Stellen, sondern nur auf die Thatsache gehe, daß 乃,
nài
, zugleich du, aber, auch
heißt.
Ab hier Schreiberschrift in
Kurrent.
Was übrigens den
Professor Neumann
selbst betrifft,
so stehe ich mit ihm durchaus in keiner näheren Verbindung, achte ihn
aber sehr als einen Mann von glücklichen Geistes Gaben, schätzbaren
Kenntnissen und
einen
einem
aufopfernden Eifer, den Kreis
derselben zu erweitern. In
Berlin
hat er durch
aus
nicht Herrn Abel-Remusats
Verdienste zu schmälern
gesucht, sondern von diesem trefflichen Manne gegen mich und
andere mit gebührender Achtung gesprochen. Wieviel Chinesisch er weiß, kann ich nicht beurtheilen. Armenisch mag er nicht genau genug kennen, um
ohne fremden Rath, in der Sprache drucken zu lassen,
wozu, namentlich zur Worttheilung mit philologischer Genauigkeit in allen Sprachen viel gehört; daß er aber
eine gute Kenntniß der Sprache besitzt, habe ich daraus
gesehen, daß er in Armenischen
Büchern, welche keine Übersetzung bei sich haben, mit
Geläufigkeit die Stellen, worauf es ankommt, auffindet und
übersetzt. Man hat ihn seit seinem Weggehen von hier
wirklich
beinahe
verfolgt. Ich nenne dies darum
so, weil man sich nicht begnügt hat von ihm begangene
wissenschaftliche Irrthümer zu berichtigen, sondern mehr oder weniger
persönliche Angriffe auf ihn gemacht hat. Herr Neumann
hat sich geraume Zeit in
Venedig
aufgehalten um Armenisch zu lernen und macht jetzt für das Chinesische und andere Asiatische Sprachen eine mühselige ReiseNeumann reiste 1830/31 nach China, wo es ihm gelang, ca.
12.000 chinesische Bücher zu erwerben und diese (deklariert als "Papier")
mit nach Europa zu bringen. Siehe u.a. Hartmut Walravens (1999): Zur
Geschichte der Ostasienwissenschaften in Europa, Wiesbaden: Harrassowitz, S.
176f. (Nachruf der Tochter, Emma Neumann, in der Allgemeinen Zeitung, Beilage März 1870, 111/112, S. 1737–1739,
1754–1756.). [FZ]. Daß dies keine Brotstudien sind, weiß Jedermann.
Anstatt ihm aber dies als Verdienst anzurechnen, hat man ihn ohne
allen Grund absichtlicher Verfälschungen beschuldigt, von seiner Eitelkeit und
seinen Anmaßungen gesprochen und
bei mehreren Gelegenheiten
sogar hier und dann
seines Jüdischen Ursprungs erwähnt. Dies
letztere hat man nicht gethan, um es ihm zum Verdienste zu schätzen
daß er sich in einer Nation, welcher es die Christen schwer machen
sich hervorzuthun, durch vorzüglichere Kenntnisse ausgezeichnet
hat, sondern gerade um ihn auf eine Weise, über die
man doch endlich in unserer Zeit hinweg sein sollte, herabzusetzen.
Alle diese
Diese
Angriffe sind gegen ihn erst zu einer Zeit
gerichtet worden, wo
wo er abwesend war und sich nicht selbst vertheidigen konnte. Diese
beiden letzteren Umstände vorzüglich haben allen
billigen u partheilosen Urtheilern mißfallen müssen, und daher ist es
denn gekommen, daß auch diejenigen auf Herrn Neumanns
Seite getreten sind,
welche übrigens Irrthümer
hier
die er
begangen haben kann, nicht in Schutz
nehmen. Ich namentlich habe längst vor allen diesen Angriffen die Meinung
gesagt, daß er sich im Chinesischen nicht
immer auf ganz sicherem Grunde befände u habe ihn veranlaßt, auch in
seinen Behauptungen
seiner Arbeit
über den Gegenstand meiner Abhandlung von einigen mir zu gewagt scheinenden Behauptungen
zurückzugehen.
Ich bin gegenwärtig wieder ganz mit Untersuchungen über den Malayischen Sprachstamm beschäftigtD.h. den Vorarbeiten zum Kawi-Werk. [FZ],
und habe besonders über die Sprache Madagascars vieles
aufgefunden, was durchaus neu erscheinen wird.
Empfangen Euer Hochwohlgeboren die Versicherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung.