Tausend Dank, verehrtester Freund, für Ihren gütigen und freundschaftlichen Brief
vom 25. Julius, den wir alle mit größter Freude
gelesen haben, und für den herzlichen Antheil, den Sie an meiner Badekur und
meiner Gesundheit nehmen. Ich bin bis jetzt vollkommen wohl, habe das Baden
keinen Tag ausgesetzt und die Witterung begünstigt in diesem Jahre den Gebrauch
des Seebades auf eine ganz ausgezeichnete Weise. Wir haben fast immer heftige
Winde und also kräftigen Wellenschlag gehabt, und auch für den Genuß der Luft
ist bis auf wenige Tage das Wetter theils schön theils recht leidlich gewesen.
Ihre Beschreibung von Wangeroge und den
dortigen Festen hat uns sehr interessirt. Die Freude, mit welcher man Ihr
Fürstenpaar empfangen hat, ist sehr begreiflich. Der
Großherzog und die
Großherzogin beweisen schon dadurch das Vertrauen, welches sie
Ihnen beweisen, den ihnen eignen tieferen und zarteren Sinn. Ich zweifle auf
keine Weise, daß die Anstalten in Wangeroge durch die Sorgfalt der Regierung mancherlei Vorzüge
vor den hiesigen haben mögen. Sie wissen aber, liebster Freund, aus eigenem
Gefühl, daß man Anhänglichkeit an Orte wie an Menschen gewinnt und sie dann
nicht gern mit anderen vertauscht. So geht es mir mit dieser kleinen Insel, die mir durch den diesjährigen Aufenthalt
noch werther geworden ist. Diese Empfindung ist eigentlich unabhängig von der
ärztlichen Wirkung. Was aber diese betrifft, so kann ein anderer Strand wohl
gleich gut, gewiß aber keiner besser sein, da der hiesige, oft selbst ohne
bedeutenden Wind, wellenreich ist und auch bei dem heftigsten Sturm immer das
Baden erlaubt. Meine kleine Wohnung hat den Vorzug der Stille und
Abgeschlossenheit und einer freundlichen Aussicht. Ich wohne vollkommen so, als
wenn ich ein eigenes in einem Garten gelegenes Haus hier besäße. Der Umgang mit
Herr und Frau
Grothe
Leitzmann ergänzt zu
„von Grothe“. – Wilhelm Freiherr Grote war
von 1829 bis 1848 oldenburgischer Regierungspräsident des Fürstentums Lübeck
mit Sitz in Eutin. [FZ] ist sehr
angenehm für uns hier geworden und wir haben uns sehr oft gesehen. Sie werden,
nach ihrem jetzigen Plane, am 24. huj. von hier abreisen. Ich habe mich in diesem Jahre von
der Gesellschaft gänzlich zurückgezogen und das Conversationshaus bloß an
festlichen Tagen Königl. Geburtstagsfeiern auf eine halbe Stunde besucht. Die
Wochen, welche ich hier zubringe, sind zwar eine große und störende
Unterbrechung des häuslichen Lebens und der gewöhnlichen Beschäftigungen, sie
haben aber doch auch einen innerlichen Werth für mich. Ich pflege hier so gut,
als ohne Bücher, zu leben und die Bücher ziehen den Geist in einen ihnen gemäßen
Strom, den es sehr gut ist, eine längere Zeit hindurch durch den aus dem eigenen
Innern kommenden zu kreuzen. Auf diese Weise theilt meine Badereise mir das Jahr
in zwei Perioden ungleicher, aber einander gerade dadurch unterstützender
Beschäftigung. Zugleich erlaubt und fordert dies freie Schweifen der Gedanken
lange Spaziergänge, die hier an dem offenenLeitzmann korrigiert zu „offnen“., schönen Meeresufer und in einigen
grünen und einsamen Orten zwischen den Dünenreihen sehr einladend sind. Mit dem
21. huj. ist meine
Kur geendigt und ich hoffe gewiß den 24. in
Oldenburg zuzubringen und mich des
freundschaftlichen Gespräches mit Ihnen und den Ihrigen zu erfreuen. Graf
ManteufelLaut Distel 1883, S. 43 Anm. 1:
"[e]in entfernter Verwandter Rennenkampffs, welcher in Esthland lebte".
Eventuell ist damit Peter August Friedrich
Graf von Manteuffel (1768–1842) gemeint, ein auf Estnisch
publizierender Schriftsteller. Ein Kontakt zu Humboldt ist allerdings nicht
belegt. [FZ] hat zwar die Besorgniß bei mir erweckt, daß die
Eutinische Reise mich wieder des
Vergnügens berauben könnte, Sie, theuerster Freund, anwesend zu finden. Indeß
schien dies doch noch ungewiß, und wir wollen hoffen, daß das Schicksal es
weniger feindlich fügen wird. Ich hatte mich auf diesen Tag ruhigen Gespräches
mit Ihnen so sehr gefreut. Ich reise mit meinen beiden TöchternD.h. Caroline
und Adelheid. [FZ] und meinem Schwiegersohn bis Oldenburg. Dort trennen wir uns, da er über
Hannover und ich mit meiner ältesten Tochter über Hamburg unsern Weg nehmen. Mein
Schwiegersohn hat einen so beschränkten Urlaub, daß er leider gar
nicht wird das Vergnügen haben können Ihnen seinen Besuch abzustatten. Er und
seine Frau tragen mir auf Ihnen ihr
lebhaftes Bedauern hierüber zu bezeugen. Leben Sie recht wohl und erhalten Sie
mir Ihr freundschaftliches und liebevolles Andenken. Ihrer Frau Gemahlin und Frau Mutter bitte ich meiner innigsten
Verehrung zu versichern. Ich freue mich sehr, doch gewiß zu sein, sie beide am
24. in Oldenburg zu finden. – Ich sehe
so eben beim Durchlaufen dieses Blattes, daß ich vergessen habe der
Spracharbeiten des Predigers in
Wangeroge zu gedenkenDistel 1883, S. 43 Anm 2: "Gemeint ist der
1837 als Hofprediger zu Oldenburg verstorbene Joh. Heinr. Friedr. Frerichs.
(N. Nekrolog der Deutschen 15. Jhrg. 1837 I. S. 100 flg., bes. 105)." Zu
Frerichs (1805–1837) siehe Neuer Nekrolog der Deutschen 1837, S. 100–108,
bes. S. 104f. mit Erwähnung seiner Studien zum Altfriesischen sowie zu
seiner kirchlichen Laufbahn: Johannes Ramsauer (1909): Die
Prediger des Herzogtums Oldenburg seit der Reformation, Oldenburg:
Littmann, [S.
150](https://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/pageview/197123), [173](https://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/pageview/197146), [243](https://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/pageview/197217). – Frerichs’ Studien zum Altfriesischen blieben zu seinen
Lebzeiten unpubliziert, wurden aber 1847 postum im Friesischen Archiv, S. 3–109 unter dem Titel "Mittheilungen aus
der Sprache der Wangeroger" veröffentlicht; siehe hierzu die Rezension in
der Beilage zur Allgemeinen Zeitung München, [Nr. 235 vom 23. August 1847, S. 1874](https://books.google.de/books?id=BdVDAAAAcAAJ&pg=RA2-PA1881-IA1&lpg=RA2-PA1881-IA1&dq=Frerichs+altfriesisch&source=bl&ots=APmWE1ptHE&sig=ACfU3U12wlPcI0-U8Dk1vznoIBlqSC1DVQ&hl=en&sa=X&ved=2ahUKEwilq9X37NnrAhVMjqQKHVaICUEQ6AEwD3oECAQQAQ#v=onepage&q=Frerichs%20altfriesisch&f=false). [FZ]. Sie sind aber
sehr wichtig, und Sie werden etwas sehr Nützliches stiften, wenn Sie ihn zu der
Fortsetzung derselben und der Herausgabe der endlichen Resultate recht
angelegentlich ermuntern. Mit der innigsten und hochachtungsvollsten
Freundschaft der Ihrige
Humboldt.
Norderney den 12. August 1833.
.
Briefschluss