Eutin den 14ten April 1796.In
der Erstausgabe von Jacobi ist (wohl fälschlich) der 14. April
angegeben, in [Humboldts Antwortbrief](553)
ist jedoch an zwei Stellen vom 11. April die Rede! Siehe auch die Datierung bei Mattson 1980.[FZ]
— Ihre vortreffliche Abhandlung über den
Geschlechtsunterschied habe ich gelesen, durchdacht und erwogen, und
wünschte bestimmtere Zeichen zu haben, um Ihnen meinen Genuß, meine Bewunderung
und Freude dabei auszudrücken. Daß Ihre Arbeit dem deutschen Michel (so erlaube
ich mir, unser großes Publikum zu nennen) nicht
sonderlich behagen konnte, begreife ich vollkommen.
"Die Nachtigall macht mir’s zu kraus, ich kann’s in Kopf nicht
bringen;
"Kukuk singt schön Choral u.s.w. (Esel
ist Richter).
Choral! Choral! liebster Humboldt, der vortreffliche Contrapunct! Das gilt in
Deutschland. Die Aria mag der deutsche Michel nicht,
weil man nur ein Lied, ja wohl gar nur einen Vers nach ihr singen kann; das ist
keine Weise, wie er sie braucht und gern hat. Da der deutsche Michel den Titel
Ihrer Abhandlung las, erwartete er ganz etwas
anderes, und das ganz andere, das er an dessen Stelle fand, dem wußte er nicht
gleich einen Titel; es wahr ihm zu kraus. Eine solche Verlegenheit
verzeiht Michel nicht. Er muß gleich erfahren, was er lernen soll und wie, und
darauf muß auch gerade losgegangen werden; so nur, meint er, käme etwas dabei
heraus, und er lernt, daß ihm der Kopf raucht, und er es an Händen und Füßen auswendig weiß.
Ernstlicher gesprochen, tadle ich selbst an Ihrer
Abhandlung, daß die Exposition, das Thema etwas dunkel, wenigstens
schwer ist. Was Sie abhandeln wollen, ist gewissermaßen nur ein Beispiel oder
Gleichniß, und die Ausführung schreitet großentheils in Beispielen, Gleichnissen
fort; darum hätte die Exposition nicht so abstract seyn müssen. Die Menge großer
und herrlicher Ideen, wovon ihre Abhandlung überfließt, so wie sie
Ihnen gewiß nicht alle aus dem Thema entsprungen sind, hätten so gestellt werden
können, daß das Thema mehr aus ihnen, als sie aus dem Thema hervorgegangen
wären. Haupt-Ideen und Titel bleiben; nur die Art der Darstellung würde
verändert; das ästhetische und rein spreculative kämen mehr aus einander u.s.w.
Ich drücke mich vielleicht verworren aus; aber ich kann es bei meiner
gegenwärtigen Kopfschwäche nicht besser machen, und will mich ein ander mal,
wenn Sie es wünschen, deutlicher erklären. Von dem Styl Ihrer
Abhandlung muß ich Ihnen noch sagen, daß er viel von der
Schillerischen abglänzenden Glätte hat, die ich in
philosophischen Vorträgen nicht für dienlich halte. Die Fassung wird dadurch
keineswegs erleichtert, so wenig als die Fassung eines wohl eingeseiften und
davon glänzenden Stricks. Hierüber wünschte ich mich recht ausführlich gegen Sie
zu erklären, damit Sie, was ich eigentlich meine,
und alles was ich meine, nicht mehr und nicht
weniger, so verständen, wie ich es in Gedanken und in der Empfindung habe.
[…]Der folgende Absatz wird in dem Brief
Humboldts an Friedrich August Wolf vom 11.
Juni 1796 wörtlich zitiert; von Mattson 1990, S. 470f., zu Z. 94, wird er
mit großer Wahrscheinlichkeit diesem Brief zugewiesen, da im vorhergehenden
Brief Humboldts (vom 28. Juli 1795) die Frage nach Wolfs
Prolegomena
gestellt wurde. [FZ]
Wolfs Prolegomena
habe ich noch nicht vornehmen können, so groß auch meine Begierde war sie zu
lesen. Klopstock ist’s eine köstliche
Salbe, die ihm hinabfließt von seinem Haupte, hinab in seinen Bart. Stolberg mag von Wolfs Behauptung gar nicht hören, und schimpft auf alle, die
darauf merken, und an einer solchen abgeschmackten Unternehmung Theil nehmen
mögen. Ich setze ihm das: Prüfet Alles! des Apostels entgegen, und bin überhaupt
bei ihm im Besitz großer Vorrechte. […]