Erfurt, den 21. November, 1808.
In diesem Augenblick, theurer Jacobi, erhalte ich Ihren Brief vom 12. unbegreiflich spät, wie Sie sehen, u. eile
sogleich Ihnen aus vollem Herzen für dies neue Zeichen Ihrer Liebe zu danken.
Der meinige wird Ihnen auch zugekommen seyn, und Sie werden also gesehen haben,
dass wir diesmal beide zuerst schrieben. Ich hoffe, wir werden jetzt auch beide
immer pünktlich antworten, u. freue mich herzlich auf den lang entbehrten Genuss
Ihrer Briefe. Fahren Sie aber ja fort zu dictiren u. schonen Sie Ihrer
Augen.
Von Erfurt werden Sie nicht erwarten, dass
ich Ihnen etwas sage. Nicht leicht mag es in Deutschland eine zweite solche
Gedankenöde, einen solchen Todesschlummer aller geistigen Kraft geben. Aber ich
war in Weimar, u. sah Göthe zwei Tage lang, sprach viel von Ihnen mit
ihm, u. soll Sie herzlich von ihm grüssen. Ich fand ihn wohl, u. wie Sie ihn
kennen, beschäftigt, indess ziemlich zornig über so manches literarische Unwesen
in Deutschland. Er klagt so ernstlich über Anarchie, Formlosigkeit, u. Mangel an
Technik in den neuen Poeten u. Autoren, dass es ihn doppelt verdriesst, so viel
wahres Talent in ihnen zu finden, und zu Grabe gehen zu sehn, und dass er nah
daran ist, mancherlei Beschränkungen, die jenseits des Rheins Mode sind,
wenigstens nicht sonderlich zu tadeln. Uebrigens fährt er fort, um sich her,
soviel er kann, zu wirken, u. liest z. B. alle Mittwoch Vormittag einem
ausgewählten Cirkel, unter dem sich auch die
Herzogin befindet, die Niebelungen vor. Mit dem Kaiser Nap. hat er eine lange Unterredung gehabt,
über seinen Werther u. das Französische Theater. Ueber
den ersteren versichert er, habe der Kaiser
sehr wahre, frappante, u. ihm sonst nie vorgekommene Bemerkungen gemacht; das
letztere kenne er bis zur Bewunderung genau, u. habe alle historische u.
poetische Motive der bekanntesten Stücke bis in ein ungeheures Détail hinein
verfolgt. Sehr viel haben wir auch Bettinas
erwähnt, die er nach Würden, wie wir, schätzt. Sagen Sie ihr das, liebster
Jacobi, u. erhalten Sie mein Andenken bei ihr, wenn in diesen ewigen Wellen
irgend etwas zu erhalten ist.
Von der Zusammenkunft der Kaiser hat man hier eine Menge, aber grösstentheils
unmerkwürdige Anekdoten.Beim Erfurter
Fürstenkongress trafen Napoleon I. und
Alexander I. von Russland vom 27.
September bis 14. Oktober 1808 im französisch besetzten Erfurt zu Verhandlungen aufeinander.
[FZ] Eine interessante ist mir die gewesen, dass der Kaiser das Schlachtfeld von Jena nicht gleich wiedererkannt, u. sich mit Mühe
darauf orientirt hat. Den Moment zu benutzen, u. den vorhergehenden immer im
gegenwärtigen untergehen zu lassen, habe ich immer für das ächte Gepräge des
praktischen Genies gehalten.
Paulus in Nurnberg habe ich mit grossem Vergnügen wiedergesehen. Ich habe
ihm von der guten Meynung gesprochen, die Sie, mein Lieber, von ihm haben, u. er
war sehr gerührt davon. Er ist begierig in die ganze Thätigkeit seiner Stelle zu
kommen, und Ihre Regierung kann gewiss darauf rechnen, in ihm einen treflichen
Arbeiter zu besitzen. In Erlangen ist auch
eine Art von moralischem Tod. Ein Jurist, Gros, indess verdient eine ehrenvolle Ausnahme. Er ist einer der
hellsten Köpfe, die sein Fach in Deutschland aufzuweisen hat. Uebrigens ist es
nicht wahr, dass die Professoren in Erlangen ihre Collegia eingestellt hätten. Sie lesen ohne
Gehalt, u. für wenige Zuhörer, aber ununterbrochen fort.
Sehr leid thut es mir, liebster Jacobi, dass Ihnen die Nummern der Hallischen Literatur Zeitung fehlen, die Sie mir
anzeigen. Ich habe sie nicht in München
lesen können, u. da sie noch am letzten Abend unter meinen Sachen lagen, u. mein
Begleiter ohne mich einpackte, hat er das Heft mit in den Koffer gelegt, so dass
ich es erst jetzt auf angestellte Nachsuchung wiedergefunden habe. Es soll aber
nun, wohl eingepackt, mit der ersten fahrenden Post abgehen.
Ehe ich es aber abgehen liess, habe ich die Recension
gelesen,Siehe [das Digitalisat der Rezension](https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00031608). [FZ] u. wie Sie es mir
voraussagten, mit Vergnügen. Sie rührt offenbar von einem äusserst guten Kopfe
her, der sich mit Leichtigkeit u. Kraft in seiner Materie herumbewegt. Da ich
Schl. Schrift nicht kenne, so weiss ich nicht, ob
der Rec. seine Meynungen treu
darstellt. So, wie er es thut, muss nothwendig jeder ihm Recht geben. Die dort
geschilderte Idee einer religiösen Tragödie, das unbedingte Erheben Calderons, u. die Maxime, dass das Trauerspiel ein
Ausdruck der Idee der göttlichen Vorsehung seyn müsse, – alles das ist geradezu
abgeschmackt nach meiner Ansicht der Sache. Allein mit dem, was der Recensent als seine eigne Vorstellung der
Tragödie, zu erkennen giebt, könnte ich leicht noch mehr hadern, ohngefähr eben
so, wie mir ein Schwärmer doch am Ende noch lieber ist, als ein reiner
Materialist, der, wie ein sehr berühmter Mann (aber kein gekröntes Haupt) vor
Kurzem hier bei Gelegenheit der Französischen Tragödie sagte, Hass u. Liebe nur
für einen choc des sensations hält. Aus seiner Schilderung der Tragödie (p. 750. col. 6. unten) fällt alles Idealische heraus, u.
eine Kotzebuische kann am Ende auch eine
seyn; wie denn auch Aristoteles wohl
leicht mit der Bemerkung einkommen möchte, dass er eine andre Furcht u. ein
andres Mitleid, als das dort angegebene rein egoistische gemeynt habe. Daher
kommt es nun auch, dass Rec. alle
idealistische Tragödien zusammenschmeisst, wie uneins sie auch unter sich seyn
mögen, die Jungfrau von Orleans, die auch der
Schlegelschen Parthei ein Gräuel ist,
verdammt, selbst Macbeth doch nicht oft haben will, u.
bloss – man weiss, besonders wenn man an das religiöse Ende Egmonts denkt, nicht warum – Göthe auszunehmen scheint.
Schl. mag das Symbolische wohl
misverstanden haben, allein meiner Ansicht nach, bleibt das Symbolische immer
das Charakteristische alles Grossen in Wissenschaft u. Kunst, u. also das
Tragisch-Symbolische auch der Tragödie. Allein das Symbol ist kein Satz, keine
Idee einmal, die sich in Worten ausdrücken lässt, u. noch weniger kann zum
Symbol (wie zur Moral einer Fabel) ein konkreter Fall erfunden werden. Der Gang
aller Symbolik ist vielmehr umgekehrt immer vom gegebenen Endlichen zum nie ganz
erkannten Unendlichen. Dem Inhalte nach ist mir das Symbol Eins mit den
Platonischen Ideen – das Höchste, das
Unendliche, Ursprüngliche; allein nicht allgemein, sondern auf diejenige
bestimmte Weise, zu der ein im glücklichen Moment aufgefasster Gegenstand der
Wirklichkeit führt. Wenn es daher nur Eine Idee – die Gottheit – geben kann, so
giebt es so viele mögliche Symbole, als es wirkliche, u. mit göttlichem Samen
begabte Individuelle Gegenstände giebt. Die im Symbol vorgehende Verschmelzung
des Endlichen u. Unendlichen ist objectiv unmöglich; aber subjectiv in erhöheter
u. begeisterter Stimmung des Gemüths ist sie es Gottlob! ebenso wenig als reine
Liebe in dem an sich fleischlichen u. sinnlichen, sittliche Freiheit in dem an
sich naturbedingten, oder Tugend in dem an sich eigennützigen Menschen, u. es
ist allerdings, dünkt mich, ein Prüfstein der wahren Tragödie, ob sie ihre
Personen dahin bringt, symbolische Gestalten zu werden. Ja, da am Ende jede
grosse Tragödie doch auch eine Einheit hat, die man Einheit der Idee nennen
kann, so lässt sich wirklich behaupten, dass sich jede zuletzt in Ein Symbol
zusammendrängt, nemlich in die Idee der bestimmten Art des Kampfes, welchen die
Menschheit darin gegen das Schicksal besteht. Ich weiss nicht, mein Bester, ob
Sie Sich der Vorrede zu Schillers Braut von Messina erinnern. Sie entwickelt, wie es mir
scheint, das was in diesen Ideen wahr seyn kann, vortreflich, u. gehört auch für
den Styl zu dem Schönsten, was Schiller je
geschrieben hat. Dem Tadel des Mädchens von Orleans in
der Rec. werden auch Sie, mein Lieber, wie Sie auch
über das Stück denken mögen, schwerlich so beistimmen. Denn bei aller
Gerechtigkeit, die man scheinbar dem Schillerschen Genie wiederfahren lässt, wird das Stück selbst
doch zu einem unzusammenhängenden Mischmasch herabgewürdigt.
Aber ich sehe, dass ich in das Unglück der langen Briefe verfalle. Zürnen Sie mir
nicht, theurer Jacobi, u. lassen Sie Sich nicht von baldiger Antwort
abschrecken. Sehe ich, dass Sie zögern, so schreibe ich unmittelbar einen
zweiten kurzen. Denn den Genuss Ihres Briefwechsels lasse ich mir nun nicht
ferner rauben. Tausend Empfehlungen an alle die Ihrigen.
Mit inniger Liebe
Ihr
H.