Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 01.06.1801<idno type="BBAW">591</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) H (alt): Berlin, A.v.Sydow (laut Hurch verschollen) Grundlage der Edition: Sydow 1906–1916, Bd. 2, S. 110–112. – Humboldt 2010, S. 392–394 (B. Hurch) Mattson 666 Schlabrendorf, Gustav Graf von Humboldt, Wilhelm von Bayonne Humboldt, Caroline von Baskisch FZ 8. Oktober 2020 in Bearbeitung
Bayonne, 1. Iunius 1801

Ich bin wieder hier, meine liebe Li, und freue mich herzlich, meine Reise, soviel Freude sie mir auch gemacht hat, vollendet zu haben. … Ich denke übermorgen, den 3. Iunius, von hier abzugehn. Gewiß weiß ich's noch nicht, weil ich noch nicht weiß, ob nicht die vier Plätze, welche die hiesige Diligence nur hat, nicht schon genommen sind. Reise ich wirklich am 3. ab, so bin ich zwischen dem 13. und 15. Iunius bei Dir. Gewisses läßt sich darüber nicht sagen. Die Diligence verspricht zwar immer die Reise in zehn Tagen zu machen, es gehn aber auch manchmal elf ober zwölf darauf. Es wird eine langweilige Sache sein, allein Extrapost ist gar zu teuer, und ich hätte wohl den courrier de diligence vorgezogen. Aber da er Tag und Nacht geht und der Wagen unbequem ist, so fürchtete ich zu erhitzt anzukommen, und ich möchte gern, daß Du mich recht wohl und heiter wiedersähest. Also will ich Geduld haben und die zehn Schöpfungstage aushalten.

Meinen Brief von Itzatzu wirst Du bekommen haben. Seitdem bin ich wieder in Spanien gewesen, doch nur auf eine Nacht. Ich war in BaignoyHurch in Humboldt 2010, S. 393 Anm. a korrigiert zu: Baigorry., nur einige Meilen von Ronceval entfernt, wo die Schlacht vorgefallen sein soll, in der Roland blieb, und konnte der Versuchung nicht widerstehen, doch diesen Ort zu sehen. Ich ging also noch einmal über die Pyrenäen, die hier nicht außerordentlich hoch sind. Dieser Übergang war aber auch das Beste an der ganzen Partie. Es war zwar ein trüber Tag. Aber die untergehende Sonne machte mit dem Nebel, der auf den nächsten Höhen umherlag, einen schönen Wechsel der Beleuchtung, und diese und die tiefe Stille, die auf diesen hohen Gipfeln herrscht, ließ mich einen schönen Abend zubringen, bis der Nebel tiefer herabstieg und mich endlich ganz einhüllte. So ritt ich noch eine Stunde fort, bis ich ans Wirtshaus kam, wo ich nach der gewöhnlichen Sitte eine Menge von Maultiertreibern um das Feuer versammelt fand. Oben ist eine Abtei, es ist aber außer dem Schlachtfelde nichts Interessantes zu sehen. Ich ritt also am andern Morgen wieder herunter. In Mauléon bin ich wieder mit baskischer Musik umgeben gewesen. Dort ist es Sitte, daß die jungen Leute und Mädchen in der Stadt und in den Dörfern eine Art Komödie aufführen, die sie Pastorale nennen, die aber, wie die altspanischen, Tragödien und Komödien zugleich sind. Es gibt eigene Pastores, gemeine Bauern, die diese Pastoralen machen und wie die alten griechischen Dichter dann auch die jungen Leute in der Deklamation unterrichten. Die Aussprache des Baskischen ist hier süßer und hat etwas Flötendes, das besonders im Gesang hübsch klingt. In Mauléon war ein Receveur des [?]Hurch in Humboldt 2010, S. 393 Anm. b ergänzt: impositions, und verweist auf die Personenliste dort S. 367 [Handschrift in Schloss Tegel, Archivmappe 75, Bl. 304v: "Mauléon. […] Pourtauborde, Receveur des impositions des Orts."], der mich sehr en affection nahm. Dessen Frau, die schon gut 50 Jahr alt war, hatte in ihrer Jugend von einem Deutschen ein deutsches Lied gelernt, und sie quälte mich entsetzlich, ihr dies Lied zu erklären. Die Töne hatten sich aber in dem Gedächtnis dieser alten Baskin so verändert, daß ich Dir schwöre, daß ich nichts als „kommst du“ und ein andresmal „weiße Brust“ habe unterscheiden können. Es war ordentlich merkwürdig zu hören. Alles übrige sah auch schlechterdings gar keiner Sprache mehr ähnlich.

Lebe wohl, meine gute, teure Li. Ich freue mich unendlich, Dich nun wenigstens in zwölf bis vierzehn Tagen gewiß zu umarmenCaroline von Humboldt lebte mit ihren vier Kindern zu dieser Zeit in Paris. [FZ]. Grüße Schlabrendorff herzlich. Es freut mich, daß er so oft zu Dir kommt. Überhaupt wirst Du doch durch diese Abwesenheit gesehen haben, daß die Menschen gern Dich besuchen. Leid tut es mir, daß Schlabrendorff nicht recht gestimmt scheint. Es ist ein eigenes Schicksal, daß das Glück so selten ist. Ich freue mich immer doppelt, so oft ich das bedenke, über mein Geschick, Dich gefunden zu haben. Ich hätte gewiß auch ohne Dich zu den Menschen gehört, die in der günstigsten äußeren Lage die innere Zufriedenheit und Fülle entbehren. Es gibt doch nichts anderes, nichts Genügendes in der Welt, als mit einem Wesen, mit dem man sich innig versteht, mit Kindern, in denen man sich gegenseitig wiederfindet, eins auszumachen und daran alle seine Wünsche, alle seine Genüsse und alle seine Tätigkeit anzuknüpfen.

Adieu, mein Innigliebes! Dein H.