Bayonne, 1. Iunius 1801
Ich bin wieder hier, meine liebe Li, und freue mich herzlich, meine Reise, soviel
Freude sie mir auch gemacht hat, vollendet zu haben. … Ich denke übermorgen, den
3. Iunius, von hier abzugehn. Gewiß weiß
ich's noch nicht, weil ich noch nicht weiß, ob nicht die vier Plätze, welche die
hiesige Diligence nur hat, nicht schon genommen sind. Reise ich wirklich am
3. ab, so bin ich zwischen dem 13. und 15. Iunius
bei Dir. Gewisses läßt sich darüber nicht sagen. Die Diligence verspricht zwar
immer die Reise in zehn Tagen zu machen, es gehn aber auch manchmal elf ober
zwölf darauf. Es wird eine langweilige Sache sein, allein Extrapost ist gar zu
teuer, und ich hätte wohl den courrier de diligence
vorgezogen. Aber da er Tag und Nacht geht und der Wagen unbequem ist, so
fürchtete ich zu erhitzt anzukommen, und ich möchte gern, daß Du mich recht wohl
und heiter wiedersähest. Also will ich Geduld haben und die zehn Schöpfungstage
aushalten.
Meinen Brief von Itzatzu wirst Du bekommen
haben. Seitdem bin ich wieder in Spanien gewesen, doch nur auf eine Nacht. Ich
war in BaignoyHurch in Humboldt 2010, S. 393
Anm. a korrigiert zu: Baigorry., nur einige Meilen von Ronceval entfernt, wo die
Schlacht vorgefallen sein soll, in der Roland blieb, und konnte der Versuchung
nicht widerstehen, doch diesen Ort zu sehen. Ich ging also noch einmal über die
Pyrenäen, die hier nicht außerordentlich hoch sind. Dieser Übergang war aber
auch das Beste an der ganzen Partie. Es war zwar ein trüber Tag. Aber die
untergehende Sonne machte mit dem Nebel, der auf den nächsten Höhen umherlag,
einen schönen Wechsel der Beleuchtung, und diese und die tiefe Stille, die auf
diesen hohen Gipfeln herrscht, ließ mich einen schönen Abend zubringen, bis der
Nebel tiefer herabstieg und mich endlich ganz einhüllte. So ritt ich noch eine
Stunde fort, bis ich ans Wirtshaus kam, wo ich nach der gewöhnlichen Sitte eine
Menge von Maultiertreibern um das Feuer versammelt fand. Oben ist eine Abtei, es
ist aber außer dem Schlachtfelde nichts Interessantes zu sehen. Ich ritt also am
andern Morgen wieder herunter. In Mauléon
bin ich wieder mit baskischer Musik umgeben gewesen. Dort ist es Sitte, daß die
jungen Leute und Mädchen in der Stadt und in den Dörfern eine Art Komödie
aufführen, die sie Pastorale nennen, die aber, wie die altspanischen, Tragödien
und Komödien zugleich sind. Es gibt eigene Pastores, gemeine Bauern, die diese
Pastoralen machen und wie die alten griechischen Dichter dann auch die jungen
Leute in der Deklamation unterrichten. Die Aussprache des Baskischen ist hier
süßer und hat etwas Flötendes, das besonders im Gesang hübsch klingt. In
Mauléon war ein Receveur des [?]Hurch in Humboldt
2010, S. 393 Anm. b ergänzt: impositions, und
verweist auf die Personenliste dort S. 367 [Handschrift in Schloss Tegel,
Archivmappe 75, Bl. 304v: "Mauléon. […] Pourtauborde, Receveur des
impositions des Orts."], der mich sehr en
affection nahm. Dessen Frau, die schon gut 50 Jahr alt war, hatte in
ihrer Jugend von einem Deutschen ein deutsches Lied gelernt, und sie quälte mich
entsetzlich, ihr dies Lied zu erklären. Die Töne hatten sich aber in dem
Gedächtnis dieser alten Baskin so verändert, daß ich Dir schwöre, daß ich nichts
als „kommst du“ und ein andresmal „weiße Brust“ habe unterscheiden können. Es
war ordentlich merkwürdig zu hören. Alles übrige sah auch schlechterdings gar
keiner Sprache mehr ähnlich.
Lebe wohl, meine gute, teure Li. Ich freue mich unendlich, Dich nun wenigstens in
zwölf bis vierzehn Tagen gewiß zu umarmenCaroline von Humboldt lebte mit ihren vier Kindern zu dieser Zeit in Paris.
[FZ]. Grüße Schlabrendorff
herzlich. Es freut mich, daß er so oft zu Dir kommt. Überhaupt wirst Du doch
durch diese Abwesenheit gesehen haben, daß die Menschen gern Dich besuchen. Leid
tut es mir, daß Schlabrendorff
nicht recht gestimmt scheint. Es ist ein eigenes Schicksal, daß das Glück so
selten ist. Ich freue mich immer doppelt, so oft ich das bedenke, über mein
Geschick, Dich gefunden zu haben. Ich hätte gewiß auch ohne Dich zu den Menschen
gehört, die in der günstigsten äußeren Lage die innere Zufriedenheit und Fülle
entbehren. Es gibt doch nichts anderes, nichts Genügendes in der Welt, als mit
einem Wesen, mit dem man sich innig versteht, mit Kindern, in denen man sich
gegenseitig wiederfindet, eins auszumachen und daran
alle seine Wünsche, alle seine Genüsse und alle seine Tätigkeit anzuknüpfen.
Adieu, mein Innigliebes! Dein
H.