Rom, den 6. Julius, 1803.
Das kleine Blättchen vom 17. v. M. das ich gestern
von Ihrer Hand empfangen, theurer Freund, hat mich so gerührt, daß ich mich
augenblicklich hinsetze, es zu beantworten. Seit Monaten hatte ich mir
vorgenommen, Ihnen zu schreiben, und ich weiß selbst nicht, wie sich die
Ausführung so lange verschob, da ich sonst jetzt viel ordentlicher, als ehemals,
im Briefschreiben bin. Aber von jetzt an sollen Sie nicht mehr klagen, u. ich
bitte Sie sehr mir recht oft u. recht ausführlich Nachricht von Sich zu
geben.
Dass Sie Deutscher Literatur treu bleiben, u. noch tief in Frankreich sogar
Metaphysik treiben, freut mich innigst. Auch ich möchte viel drum geben, mit
Ihnen darüber von Zeit zu Zeit reden zu können. Ich würde von Ihnen lernen, denn
ich bin diesen Systemen sehr fremd geworden, u. kenne das
Schelling
ische nur vom
Hörensagen. Aber eigentlich bin ich im Voraus Ihrer Meynung. Auf die Philosophie
in Deutschland d. h. ihre Resultate, habe ich nie soviel gegeben; nur auf die
Methode des Philosophirens. Diese ist im Grunde hinein verderbt in Frankreich,
sie ist so, daß ich noch dabei bleibe, daß in unsrer Zeit, wo einmal alles Gute
in einer Nation nur durch Cultur entstehen kann, eine Nation, die eine solche
Methode zu philosophiren hat, u. noch dazu für die einzig wahre hält, geistig,
politisch u. moralisch verloren ist. Genauer ausgedrückt könnte man sagen, daß
nur die Deutschen ein eigentliches Streben nach Philosophie haben. Bei allen
übrigen, vorzüglich den Engländern, ist bloßer u. schrecklicher Materialismus.
Aber über die Hohlheit u. Identität des Fichtischen u.
Schellinggschen Systems bin ich ganz und gar mit Ihnen
einverstanden. Es ist nur eine Sache wenigstens im ersteren (denn das zweite
kenne ich, wie gesagt, nicht selbst) die mich doch immer daran gefesselt hat, u.
die mir nicht gleich hohl vorgekommen ist. Fichte geht doch von einem wirklichen AktDie Worte „wirklichen Akt“ wurden mit rotem Stift
unterstrichen. der innern Reflexion aus, u. dieser Akt„Dieser“ ist doppelt, „Akt“ ist einfach in Rot
unterstrichen. liegt eigentlich allem seinem Philosophiren zum
Grunde. Dieser Akt ist bei ihm ein PraktischerBei Leitzmann als „im Praktischen“ wiedergegeben. Beide Worte
sind in Rot unterstrichen worden., da er seine Theorie eigentlich
ganz auf den prakti-schen Theil gründetRot unterstrichen wurden die Worte „praktischen Theil
gründet“., u. es hat mir immer geschienen, als verstünde er
eigentlich darunter die innige u. empfundeneRot unterstrichen wurden die Worte „innige u. empfundene“.
Ueberzeugung von der durch u. mit der menschlichen Natur selbst gesetzten
Unabhängigkeit des Ichs vom Nicht Ich, eine Ueberzeugung, die, da sie eigentlich
kein Wissen seyn kann, sich nur als Wollen zu zeigen
vermag. Dieser kräftige Grund ist, dünkt mich, allem, was Fichte schreibt, untergebaut, daher kommt aber
auch freilich theils die Unbegreiflichkeit, theils die Leerheit seines Systems.
Alles eigentlich Theoretische darin, Sie mögen es nun Erweiterung u. Ausführung
jenes Satzes nennen, oder richtiger Zurüstung nothgedrungen (d. i. gezwungen den
Knoten, den man theoretisch nicht auflösen kann, praktisch zu zerhauen) dahin zu
gelangen, ist u. muß identisch seyn, mannigfaltiger Ausdruck der
Wechselabhängigkeit des Ichs u. Nicht Ichs bei der zugleich scheinbar radikalen
Selbstständigkeit beider. Das einzige Reale aber ist ein Wunder, was sich
theoretisch nicht begreifen lässt u. noch dazu immer der Gefahr ausgesetzt ist,
materiell verstanden u. gemißbraucht zu werden. Das Resultat des Ganzen muß aber
immer ein reiner Idealismus seyn. Denn alles Begreifliche wird in Schein
aufgelöst, u. das einzige Reale ist unbegreiflich. Unläugbar ist indeß doch im
Menschen ein solcher Funken aus einer andern Welt, derselbe den die Alten nie
verkannten, wenn gleich ihn
Platon
zum Beispiel bloß poetisch darstellt. Dieß eben
scheint mir das Kriterium jeder ächten Philosophie, ob sie ihn dem Auge heller
zeigt oder verdunkelt u. verhüllt. Im letzteren Fall ist rein nicht nur nichts
Gutes, sondern alles mögliche Schlimme davon zu erwarten, u. Sie werden mit mir
gestehen, daß von diesem Gesichtspunkt aus nur noch die Deutsche Philosophie
Achtung verdient.
Ob es aber nicht möglich wäre, ein metaphysisches System zu gründen, an das sich
die Fülle des Lebens u. das reale Daseyn näher u. enger anschlösse, das scheint
mir die große, der ernstesten Untersuchung wicht
würdige Frage. Wenn aber auch diese Frage bejaht werden könnte, so müßte einem
solchen, nun alle Bedingungen erfüllenden System immer ein ab ganz abstraktes vorhergehn, oder vielmehr der philosophirende
Geist muß erst wie durch ein Feuer geläutert, alle Anlage zum Materialismus muß
erst rein zu Asche verbrannt seyn, ehe an ein Weiterkommen zu denken ist.
Der Gedanke an u. über eine solche Möglichkeit beschäftigt mich mehr, als
irgendwo sonst, in Italien. Kein Land, als dieß,
widersteht so durch seinen bloßen Anblick allem Holen, Leeren, oder
Ueberspannten. Nirgends ladet die Natur so zum vollen
ungeschwächten Lebensgenuß ein, u. hält ihn doch zugleich durch eine gewisse,
über alle Formen selbst verbreitete Mäßigkeit wieder so in weise Schranken
zurück. Wie man manchmal von einem Gemählde sagt, daß es mit Nichts gemacht
scheint, u. doch eine tiefe Wirkung thut, so geht es mit z
dem Anblick Italiens. Nirgends
erstaunt es, oft ahndet man nicht einmal gleich, daß ein Gegenstand so schön
ist, als er nachher erscheint; aber unvermerkt schmeichelt es sich ein, u.
umstrickt einen mit festen Banden. Ich bin schon jetzt mächtig davon gefesselt,
u. werde mich schwer entschließen, es unter langer Zeit zu verlassen. Dann die
Alterthümer u. die Erinnerungen. Es giebt in
Rom
vorzüglich eine Stelle, die meine
Lieblingsstelle ist, eine Platteform des alten
Kaiserpallastes auf dem Palatin. Wenn Sie nur einmal da
stehen u. auf einmal die Trümmer des Coliseums, die thermen des Caracalla, die
düstre Pyramide des Cajus Cestius, den einsamen u.
romantischen Aventin u. die kleineren Lateinischen Gebirge u. den hohen oft mit Schnee bedeckten Apennin mit Einem Blick übersehen sollten!
Non cuilibet licet adire Corinthum sagen Sie; recht
sonderbar ist es, lieber Freund, daß wenn Sie frei gewesen wären, ich Ihnen
heute, vielleicht schon f einige Wochen früher Ihre
alte Lage bei uns angeboten haben würde. Ich glaube, ich schrieb Ihnen einmal,
daß ich für meine Kinder einen von vielen Seiten recht
braven Menschen gefunden hatte. Mir u. meiner Frau zum Umgange konnte er nicht seyn, was zum Beispiel
Sie uns waren. Aber das zu finden ist eine Gabe des Schicksals, nicht etwas das
sich fodern oder auch nur mit Gewißheit hoffen läßt. Seit einigen Monaten aber
waren für ihn u. mich Umstände eingetreten, die eine Trennung unumgänglich
nothwendig machten, u. er hat mein Haus seit 14 Tagen verlassen. Denken Sie Sich
meine Verlegenheit. Sie, lieber Freund, weiß ich, sind, wenn Sie auch Lust
hätten, wieder mit uns zu leben, gebunden. Sogar wenn Sie es nicht wären, wenn
Sie nun die Wahl zwischen Ihrem jetzigen Engagement u.
einem bei mir hätten, würde ich selbst Ihnen jenes vorzuziehen anrathen. Sie
sind in einem Hause, das Ihnen wie ich sehe äußerlich mehr Vortheile anbieten
kann, u. wo Sie, bei einem einzigen Zögling auch mehr Zeit für sich behalten.
Sie also in Italien zu sehen, hoffe ich nur insofern,
als vielleicht
Mr. de
Voyer
einmal eine Reise macht oder sonst ein Zufall
eintritt. Wüßten Sie aber vielleicht irgend einen Deutschen, der gerade in
Paris
wäre, u.
auf den Sie Sich verlassen könnten, so thäten Sie mir einen großen Gefallen ihn
mir anzuzeigen. Meine Bedingungen sind: freie Station u. 200 Piaster also circa 1000 Livres
und natürlich freie Herreise. Freilich aber müßte ich einen
Menschen wünschen, der sich mit Ernst der Erziehung meiner Kinder annähme, u.
dem dies allein Hauptzweck wäre. Bestimmte Aussicht für die Zukunft könnte ich
u. würde ich ihm nicht machen. Allein bliebe er eine Zeit von Jahren bei mir, so
würde ich natürlich für ihn zu sorgen suchen, u. es in meiner jetzigen Lage auch
mehr als ehemals können. Ich weiß, wie schwierig eine Bitte wie die ist, die ich
Ihnen jetzt thue. Allein Sie haben einen sichern Maßstab zur Beurtheilung eines
tauglichen Subjects. Je ähnlicher jemand Ihnen selbst an Kopf, Kenntnissen, u.
vor allem an Charakter u. gesellschaftlicher Liebenswürdigkeit wäre, desto
lieber würde er mir seyn. Schreiben Sie mir doch gleich, ob Ihnen jemand
einfällt. Ich habe auch
Schiller
Auftrag gegeben, u. müßte also gleich wissen,
ob ich vielleicht auf Ihre Empfehlung ihm schreiben sollte, wenigstens noch mit
Niemand abzuschließen. Den Menschen selbst hätte ich zwar gern auch bald, allein
es wäre solche Eil nicht. Ich habe ein interimistisches
Arrangement getroffen, das ich allenfalls bis zu
Ende des Jahrs fortsetzen könnte.
Leben Sie wohl. Meine Frau grüßt Sie
freundschaftlichst u. herzlich. Mit innigster u. aufrichtigster Freundschaft Ihr
Humboldt.
Ihr Gut kenne ich sehr gut, auch
Me. de Voyer
bei Fr. v. Stael
, u. weil
ich ihr bei meiner Rückkunft aus Spanien an der Garonne beim Uebersetzen begegnete. Wenn
Sie Sich meiner erinnert, empfehlen Sie mich ihr.