Wien, den 26. Februar, 1812.
Ich habe, seitdem ich hier bin, keinen Brief von Ihnen erhalten, liebster Freund;
er würde sonst sicherlich nicht über ein Jahr unbeantwortet geblieben seyn. Die
herzliche Zuneigung und Freundschaft, die Sie meiner
Frau und mir durch die Zeit, die wir mit einander zubrachten, und
durch Ihre gütige Anhänglichkeit an uns eingeflößt haben, ist nie einer
Verminderung fähig, u. so haben uns Ihre Zeilen eine herzliche u. lebhafte
Freude gemacht. Vor Allem ist es mir angenehm gewesen, zu sehen, daß Sie
fortdauernd mit Ihrer Lage zufrieden sind, u. daß dieselbe bald eine Wendung
nehmen wird, die Sie Ihren Wünschen noch näher führt. Auch mir geht es ganz gut.
Wir entbehren allerdings Italien schmerzlich, indeß ist
Wien
von vielen
Seiten einer der angenehmsten Orte Deutschlands, u. vorzüglich glaubt man noch
immer an den Thoren Italiens zu stehen. Ich sehe meinen
jetzigen Posten, als das Ende meiner Dienst carrière an,
u. wenn ich ihn einmal verlasse, habe ich wenigstens jetzt keinen andern
Gedanken, als mich ganz in Italien niederzulassen. Bis
dahin ist es mir recht lieb, wenn ich für die Erziehung meiner Kinder noch
einige Jahre in Deutschland bleiben kann. – Die Gegenden um
Spa
u.
Lüttich
habe ich freilich nur
flüchtig, u. in einem Alter durchreist, wo ich den Werth der Erinnerungen, die
sie zurückrufen, minder kannte, u. achtete,
allein noch ist mir doch der Eindruck
sehr schöner Gegenden lebhaft geblieben. An der Gattung derer, die freilich das
Höchste nicht erreichen, allein doch immer sehr anziehend durch Anmuth, oder
Sonderbarkeit sind, ist Frankreich in seinem Innern
überhaupt reich. – Was Sie mir von Ihrem nun bald herauszugebenden Werk über Indien
sagen, hat mich
ungemein interessirt. Die Widersprüche, in die sich auch achtungswürdige
Schriftsteller über alles, was Indische Literatur u.
Bildung betrift, verwickeln, sind so unaufhörlich, dass nichts so nöthig ist,
als eine reine, kalte u. ruhige Sichtung des Historisch Wahren u. Falschen. Ich
stelle mir indeß die Sache nichts weniger, als ohne die größesten
Schwierigkeiten vor. Denn mich befällt, wie ich nicht läugnen kann, bei der
Indischen Philosophie immer ein heiliges Grauen. Es scheint mir eine Mystik
darin zu liegen, deren Dunkel für mich schwerlich je erhellt wird, u. überdies
scheint es mir immer, daß in allen Deutungen der religiösen Philosopheme jeder
nur das findet was er selbst darin sucht. Auf keine Weise aber ist es mir
möglich, in das unbedingte Lob derer einzustimmen, die darin nun das reine Licht
entdecken, u. es über alle spätere oder frühere Griechische Weisheit setzen. –
Wenn Ihnen der 3te Theil des von
Adelung
angefangenen u. von
Vater
fortgesetzten
Mithridates
in
die Hände fallen sollte (er erscheint in der nächsten d. i. diesjährigen
Ostermesse) so werden Sie darin einen Aufsatz von mir über das
Vaskische finden. Es sind zwar nur
Zusätze, er enthält aber doch eigentlich ziemlich alles, was Sprachforscher für
jetzt wünschen können, das Hauptsächlichste der Grammatik, u. ein Wörterbuch von wenigstens 6–700. Wörtern, auch hinreichende Winke um in dem
Labyrinth, das auf den ersten Anblick jedes Wörterbuch darbietet, einige Gesetze
u. Ordnung zu entdecken. Ein andrer Aufsatz (in einem
Journal
, das mit Ostern in
Königsberg
herauskommt) enthält unter Vaskischen Sprachproben ein sehr altes, wunderbares Fragment, u. eine Ankündigung meiner künftigen Schrift, die einige
allgemeine Ideen über Sprachen auseinandersetzt. Ich habe jetzt ziemliche Muße,
u. gehe nicht weiter in ein andres Fach über. Dies giebt mir Hofnung, noch etwas
leisten zu können. – In diesem Augenblick bin ich mit einer Abhandlung über die Amerikanischen Sprachen zu meines Bruders Werk beschäftigt. Es ist ein höchst interessanter
Gegenstand, weil er so isolirt ist, u. lauter wirklich neue Dinge darbietet. Ich
bin mit sehr schönen Hülfsmitteln, die theils mein
Bruder in America, theils ich in
Rom
sammelte, versehen,
u. arbeite seit einigen Monaten unablässig daran. Ich bin jetzt eben am Ende mit
einem
Mexicanischen Wörterbuch,
das ich Wort für Wort durchgegangen bin, u. woraus ich einen Auszug gemacht
habe. Da dies in America gedruckte Wörterbuch bloß in
seinem Mexic. Span. Theil fast
200. fol. Seiten hat, so war dies die mühsamste u. am meisten Zeit kostende
Arbeit.Siehe dazu Manfred Ringmacher in:
Eduard Buschmann / Wilhelm von Humboldt: Wörterbuch der
Mexicanischen Sprache. Mit einer Einleitung und Kommentar hrsg. von
Manfred Ringmacher (Paderborn u. a.: Schöningh 2000), S. XI f. Ich
werde mich fürs Erste auf die Nordamerikanischen Sprachen (d. h. nordwärts über
Panama) beschränken, u. damit gewiß spätestens im
Herbst fertig seyn.– So, mein theurer Freund, vergeht das Leben, denn mehr ist
alles Treiben zunächst nicht. Lassen Sie es auch Sich froh u. heiter vergehen,
empfangen Sie herzliche Grüße von meiner Frau u.
den Meinigen u. leben Sie recht wohl!
Von ganzem Herzen Ihr
H.
A Mr. Schweighäuser, à Anvers.
A Monsieur
Monsieur Schweighäuser
à
Anvers
Au pais bas.
Niederlande