Ew. Wohlgeboren statte ich meinen verbindlichsten und
freundschaftlichsten Dank für Ihr gütiges Schreiben u. die Lieferungen Ihrer so
sehr interessanten
tableaux
historiques
ab. Sie werden, verbunden mit der
Asia polyglotta
, vollständige
Aufklärung über die bisher so unbekannte u. oft so entstellte Geschichte des
inneren Asiens gewähren. Ich bin nun im Besitz von drei Lieferungen und 16
Karten.
Ihr Urtheil über
Ritter
hat mich ungemein gefreut. Er ist, wie Ew.
Wohlgeboren sagen, in jeder Rücksicht gründlich, u. von dem regesten Eifer
belebt. Wenn seine Gesundheit die angestrengte Arbeit erträgt, wird er gewiß
noch unendlich viel leisten.
Von
Champollion
bin ich sehr begierig bald wieder zu hören. Ich halte seine Methode für
vollkommen richtig u. die bis jetzt von ihm gemachten Entdeckungen scheinen mir
wahr. Indeß läßt sich auch nicht abläugnen, daß sich mit dem bisher von ihm
Herausgebrachten in den Hieroglyphen doch mechanisch (ohne selbst wieder neue
Erfindungen zu machen) noch wenig lesen läßt. Ich habe zwei Rollen aus der
Minutoli
schen
Sammlung genau verglichen, ich bin mit dem Coptischen ziemlich vertraut, aber
ich habe kaum einige Worte entziffert, die nicht
Champollion
schon gegeben hätte. Doch gestehe ich, daß ich immer ungeschickt im
Rathen gewesen bin. Ich habe daher
Champollion
geschriebenDer vorliegende Brief kann nicht vom 30. Januar 1824
stammen, da der erste Brief Humboldts an Champollion – auf den er sich hier bezieht – vom 26. Juni 1824
datiert (Messling 2008, S. 314), d.h. erst sechs Monate später geschrieben
wurde. [FZ], u. ihm mehrere
schwierige Stellen vorgelegt, die ich nicht herausbringen kann. Leider hat er
mir nicht geantwortet. Freilich hat er in
Turin
Besseres zu thun.
Ausoniolis
„Ausonioli“ war das Pseudonym des
russischen Ägyptologen Ivan A.
Gul’janov (1789–1841). [FZ]
erstes Heft habe ich gelesen u. auch sehr leer
gefunden. Weiteres kenne ich nicht. Seine Idee die Hieroglyphen aus Buchstaben
abzuleiten scheint indeß doch gegen den natürlichen Lauf der Dinge.
Von
Spohn
ist noch
nichts erschienen. Dagegen hat
Kosegarten
einen Papyrus in demotischer Schrift aus der
Minutoli
schen Sammlung, wie es
scheint, recht glücklich entziffert. Da derselbe Papyrus
mit wenigen Veränderungen in Paris vorhanden ist, u. in
Youngs
discoveries
noch eine
Griechische Uebersetzung Englisch gegeben ist, so war das freilich eine große
Hülfe. Doch hat er die einzelnen Wörter auf dem Papyrus
nachgewiesen. Er bedient sich gern des
Champollion
schen Alphabets, oft aber u.
vielleicht meist erkennt er nur die Wörter in ihrer Bedeutung als Ganze, ohne
von ihren Elementen u. ihrem Laut Rechenschaft geben zu können. Er scheint nicht
einmal bis jetzt viel Coptisch getrieben zu haben. Von den Gruppen, die er, u.
mit evidenter Richtigkeit, für Mutter, Vater, Bruder giebt, finde ich, nach dem
bisher angenommenen Alphabete, nur Mutter seinen Tönen nach wieder. Die beiden
andren stimmen mit den Coptischen Wörtern nicht überein. Waren nun vielleicht im
AltAegyptischen andre Wörter dafür gebräuchlich?
Ew. Wohlgeboren bestreiten
Asia
polygl. 45. das Alter der Sanskrit
Sprache, sagen daß
Sie
sie
alle Spuren der Neuheit in sich trägt u. gewiß eine ziemlich junge
Schrift u. Büchersprache ist. Diese Idee verdiente gewiß näher
auseinandergesetzt zu werden. Mir gestehe ich, hatte das Gegentheil geschienen.
Die Schrift mag allerdings so sehr alt nicht seyn, obgleich die systematische
Form des Alphabets wenigstens eigne Erfindung, nicht Annahme von dem Auslande
anzudeuten scheint. Aber zwei Dinge haben mir beim Studium des Sanskrit doch immer sich ordentlich aufzudrängen
geschienen 1., daß die grammatische Form der Sprache sehr für hohes Alter
spricht, so wie es mir auch vorkommt, daß man in der Verwandtschaft der Sprache
mit der Griechischen diese, wenn sie nicht Tochter heißen soll, wenigstens
jüngere Schwester seyn muß. 2., daß der Ton der Gedichte sogar alterthümlicher,
als in Homer ist, wenn auch vielleicht ihr Verfassen in Schrift in viel spätere
Zeiten fallen sollte. Ew. Wohlgeboren Behauptungen flößen mir eine so große
Achtung ein, daß ich sehr wünschte, Sie führten Ihre Ideen weiter aus, wozu das
Journal Asiatique
eine so
passende Gelegenheit giebt.
Ich habe die Ehre mit ausgezeichneter Hochachtung zu
verharren
Ew.
Wohlgeboren
ergebenster
Humboldt.
Berlin, den 30. Januar,
1824.Siehe die Anm. oben. Es handelt
sich bei der Jahresangabe um einen Schreibfehler.
[FZ]
NS: Soeben erhalte ich Ew. Wohlgeb. 4“ Lieferung für
den König u. mich.