Wilhelm von Humboldt an Friedrich Schiller, Anfang September 1800<idno type="BBAW">701</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Grundlage der Edition: Frankfurt a. M., Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Autographensammlung, W. v. Humboldt I Nr. 31 Ebrard 1909, S. 1f.; Ebrard 1911a, S. 414–429; Ebrard 1911c, S. 257–291; Schiller NA, Bd. 38/I, S. 322–339; Seidel 1962, Bd. 2, S. 189–212; Humboldt 1981, Bd. 5, S. 195–200 (Ausz.) Mattson 643 Goethe, Johann Wolfgang von Shakespeare, William Goethe, Johann Wolfgang von (1773): Götz von Berlichingen, o. O. Goethe, Johann Wolfgang von (1787): Iphigenia auf Tauris, Leipzig: Georg Joachim Göschen Goethe, Johann Wolfgang von (1788): Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. In: Goethe’s Schriften, Band 5, Leipzig: Georg Joachim Göschen Goethe, Johann Wolfgang von (1808): Faust. Eine Tragödie, Tübingen: J. G. Cotta Shakespeare, William (1622): Othello, London: Nicholas Okes Schiller, Friedrich (1800): Wallenstein, ein dramatisches Gedicht, Tübingen: J. G. Cotta Schiller, Friedrich (1801): Maria Stuart, Tübingen: J. G. Cotta Ich habe mich seit vierzehn Tagen sehr anhaltend mit Ihnen beschäftigt, mein theurer Freund … Humboldt, Wilhelm von Paris Schiller, Friedrich Eigenhändig FZ 23. Oktober 2020 in Bearbeitung

Ich habe mich seit vierzehn Tagen sehr anhaltend mit Ihnen beschäftigtDer undatierte Brief-Essay entstand Anfang September 1800 in Paris; siehe dazu Schiller NA, Bd. 38/I, S. 570. [FZ], mein theurer Freund; denn ich habe Ihren Wallenstein gelesen, und wenn ich zu denen gehörte, an welche dieser Genuß am spätesten kam, so bin ich, denk’ ich, auch vielleicht der, in welchem er am längsten und anhaltendsten dauert. Wir redeten oft mit einander über diese Dichtung, da sie noch kaum mehr als entworfen war. Sie sahen sie als den Prüfstein an, an dem Sie Ihre Dichter-Fähigkeit versuchen wollen. Mit Bewunderung, aber auch mit Besorgniß sah ich, wieviel Sie an diesen Versuch anknüpften. Hundertmal ist mir während des Lesens das Ende des Reiterliedes eingefallen: „und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen seyn.“ Sie haben um das Höchste gerungen, und wenigstens was das Poetische betrift – das wird Ihnen schwerlich irgend einer streitig machen – das Höchste erreicht.

Solche Massen hat noch niemand in Bewegung gesetzt; einen so viel umfassenden Stoff noch niemand gewählt; eine Handlung, deren Triebfedern und Folgen, gleich den Wurzeln und Zweigen eines ungeheuren Stamms, so weit verbreitet und so vielfach gestaltet zerstreut liegen, niemand in einer Tragödie dargestellt. Sie haben Wallensteins Familie zu einem Haus der Atriden gemacht, wo das Schicksal haust, wo die Bewohner vertrieben sind; aber wo der Betrachter gern und lang an der verödeten Stätte verweilt. Noch kein Kunstwerk hat mich in eine so neue und so consequent zusammenhängende Welt versetzt; keine Gestalten haben mich bisher so bestürmt und verfolgt.

Sie klagten mir oft über die Dürre Ihres Stoffs; aber vielleicht hat gerade diese unläugbare Trockenheit desselben Sie gezwungen, mehr zu thun, als bloß sie zu überwinden. Sie haben sich, das sieht man deutlich, Jahrelang in diesen Stoff eingesponnen, und ihn zur Welt ausgebildet. Warlich nicht das Machen, aber das Walten des Kunstgeists ist unverkennbar in Ihrem Werk; aber man erstaunt nur mit doppelter Bewunderung, da Sie nun hervortreten und es sich selbst überlassen, zu sehen, in welchem Grade es Natur ist.

Ich habe in Ihren Stücken vorzüglich das Eigenthümliche aufgesucht, das, was mir, nach so langem Entbehren Ihres Umgangs, am lebhaftesten Sie zurückführen könnte. Ich habe es vor allem in der Größe der tragischen Wirkung gefunden. Sie haben in dem Kampf des Menschen mit dem Schicksal unmittelbar die streitenden Mächte selbst eingeführt: die Freiheit und die Abhängigkeit des Menschen, und den Kampf genau so geendigt, wie es der Geist und das Herz billigen und wünschen. Darum erhalten Sie Sich durchaus auf der gefährlichen Höhe der Tragödie, und nähern sich nirgend dem Drama – eine Verirrung, von der bei genauer Untersuchung nur sehr wenige Dichter frei sind. Ihre Begebenheiten sind nicht, wie im Drama, Folgen einzelner Handlungen, sondern nothwendige Begleiter dieser Charaktere; ihre Hauptcharaktere sind nicht, wie die des Dramas, durch einzelne Leidenschaften, Vorzüge und Mängel, verschieden, sie sind es durch den Griff, den sie einmal für allemal in die Dinge und dadurch in ihr Schicksal gethan, dadurch daß sie eine ganze Gattung von Dingen an sich gerissen, eine andre von sich gestoßen haben, daß sie – der einzig wahre Begriff der zur Tragödie nothwendigen Charaktergröße – eine solche Kraft und Lebendigkeit des Wollens besitzen, daß sie sich die Richtung aus sich selbst und auf einmal vorschreiben, statt dieselbe stückweis von den Umständen zu empfangen.

Aber es ist auch darin noch etwas Eigenthümliches in Ihrem Wallenstein, daß die Empfindung, welche die Katastrophe mit sich führt, nicht bloß eine unglaubliche Klarheit des Blicks auf den Gegenstand zugleich zuläßt, sondern unmittelbar selbst ausstralt. Sie ist nicht Schmerz, nicht Rührung, sondern starres Entsetzen; und das Entsetzen besteht gerade darin, daß die in niederschlagender Helle erscheinende Furchtbarkeit des Gegenstandes das Gefühl, das unaufhörlich seine Kraft mit ihm vergleicht, in sich zurückdrängt. Es ist für die Empfindung, was das Erhabne für die Einbildungskraft ist, und die einzige Stimmung, die in dem höchsten Grade der Spannung noch poetisch bleiben kann, da die tiefe Rührung leicht in kleinmüthigen Schmerz, und dieser in Dumpfheit übergeht. Durch diese größere Klarheit, die Sie dem Blick über Menschheit und Schicksal gewähren, vollenden Sie nun leichter den Kreis der tragischen Wirkung, und flößen dem Gemüth, eine höhere Kraft ein, Freiheit und Schicksal, die es erst so gewaltsam trennen sah, wieder zusammenzuknüpfen.

Offenbar ist indeß dieser Ihr Weg auch der gefährlichste für den Dichter. Man entfernt sich leicht von dem Menschen, wenn man ihn zu hoch über ihn selber hebt, und unläugbar giebt es noch eine andre Art der Tragödie, welche ich die elegische nennen möchte, und die bloß mit der schmerzlichen Empfindung des abhängigen Loses der Menschheit und der Ergebung in den Willen einer unbekannten Macht endigt. Die Alten kannten keine andre Gattung, und Göthe hat ihr in seinen schönsten Stücken eine neue Schönheit zu geben verstanden. Sein Egmont ist vielleicht die schmelzendste Ausführung derselben. Ich sage mit Fleiß schmelzend, weil mir dies Stück immer, wie eine Musik von Empfindungen vorgekommen ist. Es greift nicht sowohl in den geschäftigen Ernst des Lebens ein, als es in bald lieblichen, bald wehmüthigen und zerreißenden, aber immer sanften Träumen hinschwebt.

Was Sie auf Ihrem Wege gerettet hat – denn ich glaube nicht, daß man Sie irgend mit Recht eines Mangels an der nothwendigen poetischen Wärme zeihen kann – ist die sorgfältige Ausarbeitung Ihres Stoffs in alle seine Theile. Sie umgeben, Sie umstricken, möchte ich sagen, Ihren Zuschauer mit Leben, alles hängt äußerlich, der gewöhnlichen Verknüpfung der Umstände nach, zusammen; innerlich zeigen sich die ächten Quellen, die mächtigsten Triebfedern des Lebens; diese schließen sich unter sich eng zusammen, indeß geht die Handlung fort, wo man hinblicken mag, auf die unmittelbare Größe der bewegten Massen, auf die Strenge des Zusammenhangs der Theile, auf die Stätigkeit der erregten Empfindungen, auf die identische Höhe der inneren Richtungen – überall findet man sich für das Vergangne befriedigt, und für das Folgende aufs neue erregt. Diese ächt dichterische Ausbildung Ihres Stoffs ist schlechterdings tadellos, und daß Sie gefühlt haben, daß es darauf und allein darauf ankomme, diesem Umstand haben Sie, dünkt mich, Ihr Gelingen zu verdanken. Ja es muß sogar jedem Leser auffallend seyn, daß sich Ihr Stück durch diese Ausbildung auch von den besten andern zu seinem Vortheile unterscheidet. Wenigstens habe ich noch bei keinem so das Gefühl gehabt, daß die poetische Ausbildung des Stoffs – statt nur auf den einzelnen Gebrauch berechnet zu seyn – so sehr über das Stück hinausreichte; da diese Welt einmal geschaffen war, scheint es, hieng es nur von Ihnen ab, was und wieviel Sie davon zeigen, wo anfangen, wo aufhören wollten? Es ist aber nicht zu sagen, wieviel das Ueberverdienst – wie ich es nennen möchte – auf die Wirkung des Stücks thut. Denn da Sie doch nur streng die einzelne Handlung dargestellt haben, da mir nur sehr unbedeutende Stellen aufgefallen sind, wo ich glaubte, daß Sie Umstände, die Sie Sich zur Vollendung des Bildes hinzudachten, hätten in der Ausführung weglassen können, so scheint nun alles freiwillige Bewegung, durch sich selbst organisirtes Leben.

Es war unvermeidlich nothwendig, einen Stoff, der durch sich selbst der Empfindung so wenig gab, durch den strengen und lebendigen organischen Zusammenhang zu retten; aber es gehörte nur dem Genie an, diese Nothwendigkeit dergestalt zu einem Verdienst zu machen, daß nunmehr derselbe Stoff gerade vorzüglich tragisch erscheint.

Bei der Katastrophe des Wallenstein habe ich deutlich empfunden, daß die Ruhe, die man mit Recht bei keiner poetischen Wirkung vermissen will, nur darauf beruht, daß man jede angeregte Stimmung nur mit voller Kraft bis an ihr Ende durchführe. Nichts kann eigentlich so zerreißend seyn, als der Ausgang Ihres Stücks. Dennoch fühlt sich das Gemüth zuletzt in völliger Harmonie und ausgesöhnt mit dem Schicksal und der Menschheit. Max und Thekla sind der Empfindung gefolgt, der sie ihr Leben anvertraut hatten; das Einzige, was ihnen, und an ihnen uns werth war, ist auf ewig durch ihren Tod gesichert und geborgen. Wallenstein konnte nicht still stehn und nicht zurückgehn. Ein so gewaltiges Fortstreben der Kräfte mußte fortrollen, bis es zerschellte. Das, was siegend hinter ihm zurückbleibt, kann freilich nur Misbilligung, sogar Verachtung bei uns finden, aber es verbinden sich auch schöne und wohlthätige Ideen damit. Wallenstein war eine so fürchterliche, so gewaltsame Erscheinung, daß die Hofnung friedlicher Ruhe unmittelbar mit seinem Fall eintritt. Die furchtbarste Idee Ihrer ganzen Dichtung, und die ihr zu einem Schauder erregenden Hintergrunde dient, die Uebermacht der Heere, die nicht bloß dieser oder jener Provinz, sondern allem ruhigen Bürger-Daseyn einen endelosen Krieg ankündigt, sinkt mit ihrem Schöpfer dahin. Ein gewaltig übergetretener Strom kehrt in sein Bett zurück, Saaten können wieder grünen, Völker wieder glücklich seyn.

Das ist gerade so groß, daß die Summe alles Menschendaseyns sich in Ihren Stücken so klar und kurz zusammenzieht. Die innere und reine Menschengröße, die sich einer Idee hingiebt, und lieber untergeht, als sie verläßt auf der einen Seite; auf der andern die näher dem Boden verwandte, beschränktere Gemüthsstimmung, die, leichter befriedigte Wünsche nährend, Ruhe, Zufriedenheit und äußeres Glück sucht, und die Sie sehr zweckmäßig nur in Massen, und nicht unmittelbar, sondern nur in dem Contrast der ihr Zerstörung drohenden Kriegsmacht, und in den weisen Reden Octavios und den begeisterten Schilderungen seines Sohns dargestellt haben. Dieser beschränkteren Stimmung widerspricht jene Größe nicht. Max und Thekla können ebensowohl auf Erden glücklich seyn, als der Erde entbehren. Nicht also Wallenstein, denn sein Geist nimmt keine rein menschliche Richtung. Er begnügt sich nicht an den Gütern, die niemandes Eigenthum sind, und will die nicht theilen, die wenn sie einer besitzt, der andre entbehren muß. Er zählt sich (wie er selbst in den Piccolomini’s sagt) den hellgebohrnen Joviskindern zu, und gehört doch (wie er Max nicht abläugnet) der Erde an. Wer, wo und wie es geschehen mag, die Sphären verwechselt, der kann keine gränzenlose Bahn verfolgen, sondern muß früh oder spät untergehen.

Ich hörte einige Leute hier sagen, daß, bei der Vorstellung, das Ende des dritten Acts des Wallensteins den beiden folgenden das Interesse benehme. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß dies Urtheil nur irgend allgemein gewesen sey. Denn so wenig vortheilhaft ich auch vom Publicum im Ganzen genommen denke, und so gewöhnlich es ist, die Menschen von Empfindungen hingerissen zu sehen, die sie erst, recht eigen für sich, zu gewöhnlichen herabgestimmt haben, so ist es doch auch so menschlich, wenn einmal eine Saite mächtig angeschlagen ist, nicht eher ruhen zu können, bis sie ausgetönt hat.

Wallenstein gleicht einer Naturkraft, und jeder tragische Held muß es unfehlbar mehr oder weniger. Es muß ein gleichsam unreiner fremdartiger Stoff in die Masse kommen, damit eine Gährung entstehe, und das Lautre und Fehllose, das eigentlich auf den Zuschauer wirken soll, sich rein abscheide. Aber Wallenstein ist es dadurch auf eine so große Weise, daß alles Schiefe in ihm und alles Misgeschick außer ihm allein aus seinem Charakter, und in diesem nur aus jenem Verwechseln der Sphären, aus dem Suchen des Unvergänglichen im Vergänglichen entsteht. Er hat nun nicht die Klarheit, welche jeder leidenschaftliche Charakter an sich trägt, und das Schicksal erscheint nicht als eine blinde Gewalt. Sogar er selbst, und dies thut eine erstaunliche Wirkung, sieht bei jedem Schritt klar vor Augen, was er thut; kennt sein Unrecht und seine Gefahr. Aber er hat sich selbst, und wieder durch das übermüthige Gefühl seiner Größe verführt, nach und nach unlösbar verstrickt. Dadurch haben Sie Ihr Stück den griechischen sehr nahe gebracht, wie es überhaupt durch die schöne und weise Mäßigung, die neben der vollen Stärke darin herrscht, und durch die vollendete Reife, trotz seines offenbar modernen Charakters, dem antiken schlechterdings nicht untreu ist.

Ich habe Wallensteins öfteres unschlüssiges Zaudern tadeln hören; mir aber ist es sehr richtig berechnet vorgekommen. Es ist immer nur zugleich die Folge seiner edelmüthigen Scheu vor dem Unrecht, und des Gefühls von Kraft, mit dem er nie von den Umständen und dem Augenblick abzuhängen glaubt. Daß Wallenstein schnell handeln kann, wo es nur darauf ankommt zu handeln, daran kann niemand zweifeln; daß er zögert, wo er sich zu einer ganzen Reihe von Entschlüssen bestimmen soll, ist in einem nicht affectvollen, ja kaum einmal leidenschaftlichen Charakter, in einem Menschen, der nur ein einziges tiefes Streben, an dem für ihn alles hängt, kennt und an sich grübelnder Gemüthsstimmung ist, natürlich. Der Tadel rührt wohl nur daher, daß die Tadler, wie Illo und Terzky, von der Größe dessen, was er sucht, eigentlich keinen Begriff haben. Er will keine gemeine Empörung, keine gemeine Usurpation, er macht sich – und das ist gerade sein Unglück – kein Blendwerk, er sieht nur zu klar, was rein und edel, und was alltäglich ist. Er will das Größeste und Außerordentlichste in Wirklichkeit darstellen, und greift darum nach einer Königskrone; aber indem er die Hand ausstreckt, fühlt er, daß sie kein Stoff ist, in dem sein Gepräge sich ausdrückt. Darum hat er kein bestimmtes Verlangen, keinen reinen Entschluß. Unglück drohende Gestirne entfernen nicht sein Handeln von dem entscheidenden Moment, sondern er sucht nur einen Vorwand am Himmel für das unschlüssige Zögern in seiner Brust. Er fühlt wohl, daß, was er will, über die Kräfte der Natur hinausgeht, und in der Unruhe, die ihn umtreibt, geben ihm die unverständlichen Geheimnisse einer chimärischen Kunst eine scheinbare Befriedigung. – Doch ist es mir, besonders bei ein Paar Stellen vorgekommen, als hätten Sie von dieser Neigung zur Sterndeuterei einen etwas sparsameren Gebrauch machen können.

Die Zeichnung des Charakters Theklas hat mir durchaus eigenthümlich geschienen. So ganz Natur und so bloß die Natur, ist mir nicht nur bei Ihnen, sondern überhaupt nichts vorgekommen. Es ist die volle und reine Kraft der Liebe, die in diesem Busen waltet, und ihr diese Freiheit, diese Stärke und diese Besonnenheit giebt. Das Eigne Ihrer Behandlung liegt in der Strenge, mit der Sie, ich sage nicht bloß alles Ueberflüssige, sondern auch alles, was nur mehr thäte, als den Charakter zu zeigen, zurückgewiesen haben. Nur Sparsamkeit, nur sogar scheinbare Kälte in den Aeußerungen läßt in die Tiefe sehen und in die Tiefe wirken. Thekla ist gerade nur so weiblich, als es ein Weib seyn muß; sie ist nur so Geliebte und Tochter; sie ist, ehe sie das alles ist, und außerdem sie selbst, und kennt nur sich und ihre Bestimmung. „Ich kanns ihr nicht ersparen,“ sagt sie, und mit der Sicherheit, welche der tiefe Ernst der Empfindung immer giebt, folgt sie ihrer Bahn und verläßt ihre Mutter.

Wie Göthe’s Iphigenia und Ihre Thekla, so weist kein alter und kein moderner Dichter einen dritten Charakter auf. Der Platz, den Thekla einnimmt, macht, daß sie noch ernster und feierlicher auftritt. Die Natur erscheint größer und tiefer in ihr, weil sie sich weniger ausspricht, und von einer heldenmäßigeren Leidenschaft beseelt ist.

Die Achtung ihres Vaters gegen sie wirft ein schönes Licht auf ihn selbst zurück. Es scheint mir meisterhaft, daß Sie diesen einzigen Zug aufgespart haben, ihn vor unsern Augen an die Seinigen zu knüpfen.

Eine ganze Masse von Menschen, und zwar als einen einzelnen Charakter, in einem Stück aufzuführen, wie Sie in den Pappenheimern gethan haben, ist unläugbar neu, aber von der größesten Wirkung. Es ist das einzige Menschlich-Große, was sich aus der wilden Masse des Heers hervorhebt, es giebt dem Entschluß Maxens ein entscheidenderes Gewicht, vermehrt den Drang und das Schauderhafte seines Abtretens, und die Treue dieser Menschen gegen ihren Führer schließt sich wunderbar schön an die Treue der Liebe in Thekla an. Die gerechte Sache gewinnt durch diese Menge nicht nur mehr Masse, sondern auch durch ihren Edelsinn die Würde wieder, die sie durch die listige Art, wie man sie zu retten sucht, zu verlieren Gefahr läuft. Maxens und Theklas Gemüthsstimmung, der furchtbare Entschluß, lieber ihr Leben aufzugeben, als das Recht ihrer Empfindungen, verliert das chimärische Ansehn, in das alles Idealische leicht verfliegt, indem eine ungebildete und rohe Menge aus freier Wahl die gleichen Gefühle und das gleiche Schicksal theilt. Diese Pappenheimer – unzertrennlich und durch das edelste Band, durch gleichen Sinn für Recht und Treue, mit Max und Thekla verbunden – bleiben nun auch das Einzige, worauf in der größesten Zerrüttung, im äußersten Entsetzen der Blick sich heftet, und worauf verweilend das Gemüth wieder Ruhe gewinnt. Einen würdigeren Antheil hat nie ein Dichter einer Volksmasse an einer tragischen Handlung gegeben.

Ueberhaupt aber sind Ihre drei Stücke dadurch durchaus neuer Gattung, daß um eine einzelne Erscheinung in einem einzigen Menschen anschaulich zu machen, Sie den Blick durch ganze große Massen hindurch führen mußten. Wallenstein erschien schlechterdings nur als ein Vermeßner, wenn man nicht durch das ganze Heer, vom Gemeinen bis zum General, die Gründe des Vertrauens sahe, das er haben konnte, dasselbe nach seinem Willen zu führen.

Daß Sie die Herzogin, die in den wenigen Malen ihres Erscheinens eine so trefliche Wirkung thut, nicht mehr zeigen, scheint mir sehr zweckmäßig. Ihr Schicksal, bei ihrem Charakter, hätte zuletzt nur, ohne allen Ersatz das Gemüth des Zuschauers schmerzhaft zerrissen, wenn Sie ihr mehr Antheil an der Handlung verstattet hätten. Buttlers Charakter ist poëtisch vollkommen gerechtfertigt. Er ist ein roher Mensch, aber von ungemeiner Kraft, und von ungemeiner Reizbarkeit für den Begriff der Ehre, in dem er wahre Begriffe und Begriffe des Vorurtheils mischt, dabei tief und versteckt leidenschaftlich. Er glaubt sein Ehrgefühl vom Kaiser beleidigt, und verläßt ihn aus Rache; er sieht, daß ihn Wallenstein gemisbraucht hat, und seine Rachsucht wechselt jetzt nur den Gegenstand. Dennoch kann ich nicht läugnen, daß mir dieser Buttler der Stein des Anstoßes im Wallenstein ist. Der Theil des Plans, auf dem gar nicht hauptsächlich – denn Wallenstein ist immer, auch ohne das, dem Tode geweiht, und Sie konnten gewiß mancherlei Wege wählen – aber nach der Art, die Sie ergriffen haben, die Katastrophe beruht, befriedigt mich nicht ganz. Buttler ist allerdings ein taugliches Subject, jemand unwiederbringlich dem Tode zu überliefern. Allein seine Umänderung von Wallenstein wider ihn ist mir zu schnell, und der Erfolg nachher, bei seinem doppelten Betragen zu leicht. Allerdings ist seine Umänderung motivirt, und das hinlänglich, aber auf eine Art, die nicht allen Verdacht der Willkühr des Dichters ausschließt, und ob ich schon sonst nicht gleich den Stab über alle Motive dieser Gattung brechen möchte, so sind diese Ihre Stücke doch übrigens davon frei. Eine Treulosigkeit, wie Wallenstein hier an Buttler begeht, ist einem nicht bloß nicht lieb, sondern auch an Wallenstein fremd, und der Gedanke, daß dieser Kunstgriff einmal das einzige Mittel war, sich Buttlers zu vergewissern, nicht hinlänglich befriedigend.

Sey indeß dieser Tadel auch ungegründet, so hätte ich doch gewünscht, Buttler wäre weniger in den beiden letzten Akten auf dem Theater geschäftig. Ein Charakter, wie der seinige, – die unerbittliche Härte der Erinnyen, ohne ihre innere Gerechtigkeit, aber mit dem Scheine des äußren Rechts – ist der furchtbarste Anblick, den man sich denken kann, und so wenig ich auch eine solche Gestalt aus der Tragödie verbannen wollte, so möchte ich es doch dem Zuschauer ersparen, sie lange zu sehen. Auch die Scene mit den Mördern hätte ich weggelassen, oder beträchtlich abgekürzt.

Dagegen thut Gordon eine vortrefliche Wirkung. Seine Weichmüthigkeit giebt diesen letzten Scenen eine sanftere Rührung, und seine bescheidene Mäßigung bereitet uns nach und nach darauf vor, daß eine so furchtbar aufstrebende Macht, wie Wallensteins seine, nothwendig und mit Recht in Nichts zerfallen muß.

Ueber die Eigenthümlichkeit Ihres Dichtergenies, worüber wir oft mit einander sprachen, glaube ich durch den Wallenstein nunmehr fast genügende Aufschlüsse erhalten zu haben. Man hat Ihnen immer eine vorzügliche tragische Stärke eingeräumt, man hat in allen Ihren Producten wahrhaft dichterische Gewalt über die Empfindung und erhabne Größe der Gedanken erkannt, man hat Ihnen ebensowenig Zartheit und Weichheit abgesprochen, und selbst der Ausdruck des Naiven ist Ihnen sehr gut gelungen. Wenn man tadelte, so war es, weil man Sie manchmal mehr ungeheuer, als groß zu finden glaubte, weil man Ungleichheiten, Höhen und Tiefen, dicht bei einander bemerkte, endlich weil man, welche Wirkung auch Ihre dichterischen Gestalten ganz unläugbar ausübten, doch – gleichsam selbst über diese Wirkung erstaunend – nicht immer in Ihnen die wahre Natur erkannte. Jetzt glaube ich deutlich zu sehen, daß dieser Tadel größtentheils nur daher entstand, daß, weil Sie selbst Sich noch nicht durchaus rein entwickelt hatten, auch der nicht verwerfliche Zuschauer Sie nicht klar ins Auge fassen konnte.

Denn das, dünkt mich, ist der Unterschied zwischen Ihren neuesten Stücken und den älteren, daß derselbe Charakter in jenen weniger ausgearbeitet, – aber ebendarum vielleicht auch stärker und frischer – in diesen fast vollendet erscheint.

Worin sich also Tadel und Lob bei Ihnen vereinigten, das kommt auf ein Uebergewicht der Subjectivität über die Objectivität hinaus, man mochte es nun misbilligend als Mangel an Natur-Wahrheit verstehen, oder nur Ihre Eigenthümlichkeit bestimmend, als einen ungewöhnlichen Proceß, durch den Sie dieselbe, wo Sie sie nicht aus der ersten Hand empfingen, durch Sich selbst gleichsam wiederherstellten.

Daß die Gewalt der eignen und inneren Richtung mehr über Sie vermag, als der äußre Eindruck, ist mir ungezweifelt. Vielleicht auf niemand, als auf Sie, üben Ideen eine so gewisse und ausschließende Kraft aus; nur wenige Menschen sind in dem Grade gerecht, nur äußerst wenige in so großem Verstande gütig, und nur bei den seltensten kann man so sehr auf unverbrüchliche Treue rechnen, wenn man einen Platz in Ihren Ideen gewonnen hat. – Verzeihen Sie diesen Rückblick auf Ihren Charakter, lieber Freund, aber Ihre Stücke haben mich ebensosehr zu Ihnen selbst, als zu den großen Bildern hingezogen, die Sie zurücklassen.

Dennoch hat man höchst Unrecht gethan, wenn man Sie mehr zum Denker bestimmt glaubte, oder wenn man – denn wohin hat sich nicht das Urtheil verirrt? – in Ihnen eine Vereinigung dichterischer und philosophischer Anlagen, die jede einzeln schwächte, zu sehen glaubte. Ihre Natur hat offenbar eine völlig bestimmte Richtung, und diese ist so rein dichterisch, als es vielleicht je eine gegeben hat.

Das Uebergewicht, das Sie (meiner Meynung nach) in der That charakterisirt, liegt in der Einbildungskraft selbst, es ist das der Kraft ihres fortschreitenden Strebens über das verweilende Vergnügen an der Ausbildung des erzeugten Stoffs. Das Feuer der Ihrigen entzündet sich unaufhörlich von neuem durch eigene Reibung. Sie mögen Gegenstände oder Empfindungen schildern, so stellen sich dieselben bei Ihnen nicht, wie freiwillig und durch gegenseitige Entwicklung an einander. Eine unverkennbare Kraft führt sie herbei, stellt sie zusammen, oder strömt sie, wie aus einer unbekannten Quelle, aus. Denn man sieht nirgends, woher diese Kraft nun stammt, sie hat keinen erklärbaren Entstehungsgrund, und keine erkennbare Absicht – und darin gerade liegt das Dichterische in ihr.

Obgleich alles in uns nur Folge, und obgleich kein Mensch etwas anders ist, als sein untheilbares Wirken im gegenwärtigen Augenblick; so heftet doch die Einbildungskraft die flüchtigen Erscheinungen auch räumlich neben einander, und macht dadurch ebensowohl ein gleichzeitiges Ueberschauen, als ein vorübergehendes Mustern möglich. Es giebt daher auch Menschen, die, mit heftigerer Bewegung, das Neue ergreifen, das sich in ihnen erzeugt, und andre, die, verweilender, mehr den Zusammenhang beachten, an dem es sich abwickelt.

In Ihrer Einbildungskraft ist das beflügelte Forteilen der Zeit hervorstechend vor der Rückwirkung des erzeugten Stoffs. In jedem Augenblick taucht Ein Gegenstand auf, in ihn ist das Vorige, das, als vergangen, schlechterdings hinter uns liegt, verschmolzen, und in dem Dunkel, das ihn noch drückt, liegt das Folgende verhüllt. Jeder Schritt ist eine neue Kraftentwicklung, die, je nachdem Sie der Gegenstand führt, pathetisch, als schmerzhaftes Erzeugen, oder so erhaben, daß darin alles Pathetische verschwindet, als freies Ausströmen der Ueberfülle erscheint. Darum üben Ihre Produkte eine größere Gewalt aus; darum haben sie nicht das sich immer in jedem Augenblick wiederherstellende Gleichgewicht, aber im Ganzen, wenn nun in dem letzten Punkt die ganze Reihe wieder aufblitzt, gleich schönes Ebenmaß, gleich volle Harmonie; darum erscheint das Einzelne minder freiwillig und zufällig, aber das Ganze gehört keiner Absicht an. Jeder Ring der Kette ist schnurgerade nach dem Gewichte gesenkt, das sie zieht, aber das Gewicht ist unsichtbar, wie der Ring, an dem ihr erstes Glied hängt. Die Folge von Bildern, die uns beschäftigt, stammt aus der bewegten Menschennatur, sie eilt nach der Auflösung dieser Bewegung hin, die sich aber, ohne jemals erreicht zu werden, nur in der Unendlichkeit verliert – mehr fühlen wir nicht.

Jede Dichtung bildet auf einem gewissen Grade der Höhe einen vollendeten Kreis um sich. Die Dichtung der Alten, und die doch gleich originelle Göthe’s thun es nach und nach; sie erweitern sich vom Mittelpunkt aus, der Gegenstand wirkt in die Ferne, die Ferne auf ihn zurück. Sie folgen pfeilgerade Einer Richtung, und erst dann schlägt sich der Kreis um den Leser, wann derselbe in dieser Richtung plötzlich angehalten, und durch diese Stockung sich selbst wiedergegeben wird. – So ist es offenbar im Wallenstein. Ehe Wallenstein fällt, reißt nur Er uns fort: ist er gefallen, so wendet sich der Blick zurück und zur Seite, die mannigfaltigen Bahnen der Menschheit, wohin ihr innres Streben sie reißt, wohin ihr äußeres Glück sie einladet – liegen offen da. So ist es auch in den lyrischsten Ihrer Producte, der Freigeisterei der Leidenschaft und der Resignation.

Dem dichterisch bewegten Gemüth offenbart sich nothwendig das Höchste, das es zu fassen vermag, und hier zeigt sich eine neue Verschiedenheit der Ansichten und der Köpfe. In Ihnen entscheidet hier wieder die innere, rein aus sich selbst schaffende Kraft; diese bricht durch und macht sich Licht. Daher ist immer Klarheit in Ihnen, nicht die stille und ruhige, die aus der Ordnung entsteht, in der sich die Gegenstände selbst freiwillig lagern, sondern eine mächtige, neben und über einem scheinbar verwirrenden Getümmel und selbst hervorgehend aus der Kraft seiner Reibung. Ebendaher ist auch das Letzte in Ihnen nie der Stoff, nie das unmittelbare Leben, sondern der Gedanke, der Geist, der darin, verstanden, oder unverstanden, waltet.

Das Letzte, worauf die Dichtkunst führt, ist immer, wie sie selbst, etwas Unauflösbares, Unerklärbares; es kommt nur darauf an, wo man den Knoten faßt, ob näher, in der Erscheinung selbst, oder weiterhin in ihrem räthselähnlichen Sinn. Zu dem letzteren gehört natürlich eine höhere Kraft des Geistes. Denn wenn man eine Erscheinung in Gedanken, in ihre Bedeutung, auflöst, so ist, unmittelbar, alles klar und verständlich, und man muß erst den Gedanken wieder in die Tiefe verfolgen, um auf das Dunkel zu stoßen, das nun kein Licht weiter aufhellt, weil es die rein vorgelegte Aufgabe des Menschendaseyns ist, die aufzulösen man sich selbst überspringen müßte.

Dahin nun gelangen Sie, wie jeder ächte Dichter, immer; aber Sie wissen auf diesem Punkt einen Bund zwischen der Einbildungskraft und der Vernunft zu schließen, durch den es erscheint, daß nicht das Vermögen der Sinne, sondern die Kraft des Gedankens durch die Phantasie, auf einem ihm unbekannten Wege zu einem Ziel geführt werde, das ihm allein unerreichbar gewesen seyn würde. Sie zeigen die Unendlichkeit, indem Sie geradezu die Kraft wecken, deren Wesen es ist, der Unendlichkeit nachzustreben, und überraschen uns, indem Sie es durchaus als Dichter (allein durch Phantasie) thun, was in Ihnen ein außerordentliches Vermögen voraussetzt, und in uns eine ungewöhnliche Bewegung hervorbringt.

Diesem Streben, auch dem Dunkel noch Funken des Lichts abzugewinnen, haben Sie die lyrisch didaktische Gattung zu danken, die Ihnen allein angehört. Man hat Sie in diesen Stücken manchmal getadelt, einen zu schwer philosophischen Stoff gewählt zu haben. Aber es giebt entweder gar keine didaktische Dichtkunst, oder sie hat nur da Gültigkeit, wo nur noch die Einbildungskraft, nicht aber der argumentirende Verstand weiter vordringen kann.

Wenn ich mich verständlich genug ausgedrückt habe, so werden Sie sehen, lieber Freund, daß ich Sie nicht auf Eine Gattung, ja nicht einmal auf Einen Stil beschränke. Zwar glaube ich sicherlich, daß die dramatische Gattung immer diejenige seyn wird, in der Sie Sich am leichtesten und reinsten zeigen werden; allein auch die epische, deren sinnliche Klarheit und nur zum Beschauen einladende Ruhe so sehr von dem Gange, den ich in Ihrer Einbildungskraft zu sehen glaube, abweicht, würde Ihnen und gleich gut gelingen. Sie würden, nur auf anderem Wege, zu den gleichen Resultaten kommen, und aus der Stimmung des Lesers, die, innerhalb derselben Gränzen, einer großen Mannigfaltigkeit von Abstufungen fähig ist, eine andre Nüance geben. Dann aber erlaubt Ihnen auch Ihr Charakter bei weitem mehr fast jede Eigenthümlichkeit andrer nachzubilden. Er hat weniger, als andre Naturschranken, und verstattet Ihnen mehr Freiheit.

Von andern Dichtern – denn man kann es nicht vermeiden, Vergleichungen anzustellen – kann ich nur Göthe und Shakespeare mit Ihnen vergleichen. Alle andern stehen zu weit von Ihnen entfernt, sollten Sie auch gleiche Dichterstärke mit Ihnen besitzen. Der Alten erwähne ich hier nicht.

Mit Göthe theilen Sie, genauer als sonst wohl zwei Dichter, den ganzen Umfang der Dichtkunst in Absicht auf den Stil. Der Gang seiner Einbildungskraft ist von dem der Ihrigen gänzlich verschieden. Er führt die Erscheinungen des Lebens anders ein, er legt sie anders an unser Herz, er erhebt anders zur geistigen Betrachtung. Auch wo er selbst schafft, scheint er noch zu empfangen, er erscheint fast immer mehr um sich schauend, und bloß aussprechend, was er sah, als in sich arbeitend und forteilend. Er kann nicht mehr Objectivität haben, als Sie, denn man kann Ihnen hierin keinen Vorwurf machen, nicht mehr Wahrheit, nicht mehr Leben. Aber er hat es auf eine andere Weise, und seine Dichtung steht dem Menschen im Ganzen vielleicht näher.

Er bleibt mehr innerhalb der Gränzen der bloß empfindenden, leidenden oder genießenden, Menschheit stehen, er wendet sich an eben diesen Theil unsres Ichs, und darum vorzüglich hat er keine höhere, aber eine andre Wahrheit und Wärme. Er weiß aus diesen Schranken hinaus gleich gut auf das Höchste zu gehen, aber er hat nicht dieselbe Raschheit der Bewegung, nicht dasselbe Drängen der Erscheinungen, und erschüttert wohl gleich tief, aber minder heftig. Er wirkt mehr von außen; Sie mehr von innen auf den Menschen; man kommt auf beiderlei Weise zum Ziel, aber man fühlt bei Ihnen die eigne innre Kraft höher angestrengt. Sie wirken stärker auf den selbstthätigen Theil des Menschen, den Sie unwiderstehlich bestimmen; er macht wenigstens die Nothwendigkeit des Wirkens desselben minder sichtbar, weil er zuerst und unmittelbar den anschauenden und empfindenden stimmt.

Es ist schwer, unter Göthe’s Werken etwas dem Wallenstein in Absicht des Sujets Aehnliches zu finden. Doch bietet Götz von Berlichingens Unternehmung sich aus gemeinnützigen Absichten der Gewalt des Kaisers zu widersetzen, einige Aehnlichkeit mit Wallenstein, und weit mehr der Charakter seiner Frau mit dem der Herzogin dar. Solche Charaktere so lang, so nah, so in verschiedenen Lagen zu zeigen, als Göthe gethan hat, wäre Ihnen, glaube ich, ebenso unmöglich gewesen, als Göthe’n Ihr Wallenstein oder Ihr Max. Am meisten berühren Sie Sich wohl noch in Thekla. Aber ich weiß nicht, ob es Göthe’n möglich gewesen wäre, sie vorzüglich durch dasjenige zu zeigen, was ihre hohe und reine Natur von sich ausstößt, wodurch Sie ihr gerade die meiste Größe und eine tief erschütternde Wahrheit gegeben haben. Zeigten Sie sie mehr positiv, so erschütterte sie weniger, als sie rührte. Doch ist es gerade das, was Göthe immer thut. Auch seine einfachsten Charaktere läßt er viel sehen, zeigt nicht bloß sie im Leben, sondern (möchte ich sagen) auch das Leben an ihnen. So im Götz, so Klärchen im Egmont, so Gretchen im Faust und selbst Iphigenia. Daher haben seine Gestalten eine gewisse Weichheit und Lebenswärme vor den Ihrigen voraus; aber die Ihrigen dafür eine mehr imponirende Größe, gerade durch die sichtbarere Bestimmtheit der Umrisse eine höhere Kraft, das Gemüth, sogleich nach vollendetem Effect, zum weiteren Fortwirken zu bestimmen.

Shakespeare hat, wenn mich nicht alles trügt, dieselbe Richtung der Einbildungskraft gehabt, als Sie; er ist nur auf einem Punkt stehen geblieben, über den Sie hinausgehen, und dadurch hat er Vorzüge vor Ihnen, aber auch Nachtheile. In der erschütternden Schilderung des Lebens halte ich ihn für unerreichbar. Er faßt unmittelbar die Erscheinung, bleibt bei ihr stehen, und hält uns bei ihr fest; er hat nun alles Furchtbare, alles Düstre und Trostlose, was das Ringen des Menschen mit dem Schicksale immer mit sich führt, wo man keinen Blick darüber hinauswirft, aber er hat auch die ganze Sinnlichkeit, die ganze Größe, die ganze Wahrheit der unmittelbaren Wirklichkeit. Für Shakespeare aber, wie für die Alten, macht noch etwas anders den Streit mit den Neueren ungleich. In dieser Entfernung der Zeit sehen wir in ihnen mehr, als ihre Werke – sie selbst; und einen Geist, wie den Shakespeareschen, mit den Fesseln und der Dunkelheit seines Jahrhunderts ringen zu sehen, erschüttert das Gemüth schon an und für sich. Die hohe Klarheit, den reinen Ueberblick über Menschheit und Schicksal, kann Shakespeare nicht gewähren, die Kunstvollendung, die ihm fehlt, noch abgerechnet.

Nachdem Sie im Wallenstein zwar einen wenig für sich dichterischen, aber weitumfassenden Stoff bearbeitet haben, wünschte ich Sie wohl in einem Stücke zu sehen, bei dem nur ein einzelner Punkt des Menschen, eine einzige Leidenschaft, im Spiele wäre. Ein solches Stück – wie z. B. Othello ist – muß noch gewaltsamer die Brust durchwühlen, und es wäre höchst interessant zu sehen, welche Auflösung eine Bearbeitung auf Ihre Weise dem Gemüth geben würde. – Auch auf Ihre Maria Stuart bin ich äußerst begierig. Dem Sujet nach zu urtheilen, müssen Sie sie mehr ins Rührende und Elegische hinein behandelt haben.

Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit bietet noch, dünkt mich, die Art dar, wie Sie die Sprache behandeln, das Verhältniß, in dem Sie zu ihr stehen. Da Sie weniger Verwandtschaft mit den bildenden Künsten besitzen, so bleiben Sie strenger bei demjenigen, was der Dichtkunst ausschließend angehört. Da Sie nicht gerade vorzugsweise die Beschauungskraft Ihres Lesers bei einem, nur mit Hülfe der Sprache geschilderten Gegenstand verweilen, so halten Sie Sich mehr an diejenige sinnliche Wirkung, welche die Sprache, als vom Menschen stammend, und mit allem in ihm verwandt, auf sein Denken und Empfinden, und mithin auf sein Vorstellen überhaupt ausübt. Sie behandeln dieselbe weniger als ein Mittel, einen Gegenstand (dem Sie hauptsächlich das Gelingen Ihrer Wirkung anvertrauten) zu zeigen; sondern bei weitem mehr als ein Erzeugniß des menschlichen Geists, wodurch er sich das ihm Fremde menschlich aneignet und durch dessen zweckmäßigen Gebrauch er bestimmt werden kann, eine Reihe von Anschauungen und Empfindungen aus sich selbst zu entwickeln.

Die Sprache stellt offenbar unsre ganze geistige Thätigkeit subjectiv (nach der Art unsres Verfahrens) dar; aber sie erzeugt auch zugleich die Gegenstände, insofern sie Objecte unsres Denkens sind. Denn ihre Elemente machen die Abschnitte in unserm Vorstellen, das, ohne sie, in einer verwirrenden Reihe fortgehen würde. Sie sind die sinnlichen Zeichen, woran wir die verschiedenen Sphären der einzelnen Gegenstände bestimmen, und wodurch wir (um alle falsche Vorstellung eines räumlichen Stoffs zu vermeiden) gewisse Positionen unsres Denkens zu Einheiten machen, die sich zu andern Zusammensetzungen und Verrichtungen brauchen lassen. Die Sprache ist daher, wenn nicht überhaupt, doch wenigstens sinnlich das Mittel, durch welches der Mensch zugleich sich selbst und die Welt bildet, oder vielmehr seiner dadurch bewußt wird, daß er eine Welt von sich abscheidet.

Sie übt aber auf die Art unsres Denkens einen andren gleich wichtigen Einfluß aus. Die Analogie ihrer Bildung, die sie eigentlich zu einer Sprache und zu dieser oder jener bestimmten macht, verbindet jeden einzelnen Theil in ihr aufs festeste mit allen übrigen, und denken wir uns dieselbe sehr groß, oder nehmen wir unsern Sinn für sie sehr geschärft an, so wirkt der Theil gerade ebenso auf uns, als das Ganze. Die Sprache wirkt daher nicht bloß, wie ein Gemälde durch ein Zusammennehmen der neben einander stehenden Parthien, sondern zugleich und sogar hauptsächlich, wie eine Musik, in welcher die vergangenen und noch folgenden Töne nur dadurch in dem gegenwärtigen mitwirken, daß sie ihn verstärken und brauchen. Eben das nun ist auch der Fall mit unsrer geistigen Thätigkeit. Das Vergangne ist vergangen, das jetzt Thätige ist nur die durch alle bisherige Uebung gestärkte und zu dieser Thätigkeit in diesem Augenblick bestimmte Kraft. Da wir aber die Sprache selbst, und nur nach und nach und nur für und durch unser Denken mühsam gebildet haben (ein Fall, in dem sich jeder befindet, dem Wörter mehr als leere Schälle sind, da jedes ächte Verstehen ein neues Prägen von Ausdrücken ist) so bringt uns die Sprache unaufhörlich die Arbeit unseres Geistes, und zwar in lauter bis auf einen gewissen Punkt gelungenen, aber immer nur halb vollendeten Versuchen zurück, die also auch immerfort zum weiteren Fortarbeiten zugleich Stimmung und Leitung gewähren.

Das nun ist es, was ich die eigentliche Kraft der Sprache nennen möchte, ihre Fähigkeit, den Trieb und die Kraft zu erhöhen, immerfort – wie Sie es nennen wollen – mehr Welt mit sich zu verknüpfen, oder aus sich zu entwickeln. Indeß ist auch so das Resultat ihres Wirkens nur auf dem Wege zum Ziele, nicht an diesem selbst ausgedrückt. Es kommt nicht auf mehr oder weniger, nicht auf Reichthum des Besitzes, sondern auf die Stärke der Kraft an. Alle unsre Endlichkeit rührt daher, daß wir uns nicht unmittelbar durch und an uns selbst, sondern nur in einem Entgegensetzen eines andren erkennen können, besteht in einem ewigen Trennen, unsres Wesens in einzelne Kräfte, der Welt in einzelne Gegenstände, der Menschheit in einzelne Menschen, des Daseyns in vorübergehende Zeiten. Da diese Endlichkeit nicht in der That aufgehoben werden kann, so muß sie es in der Idee; da es nicht auf göttliche Weise geschehen kann, muß es auf menschliche. Des Menschen Wesen aber ist es, sich erkennen in einem Andern; daraus entspringt sein Bedürfniß und seine Liebe. Das Einzige, was daher übrigbleibt, ist alle, zu irgend einer Zeit, und auf irgend eine Weise erlangte Stärke und jegliche Richtung der inneren Kraft so eng in Einen Augenblick zu versammeln, daß, da einmal keiner erscheinen kann, in dem sie unendlich und in Verschmelzung mit einem unendlichen Object wirke, sie doch immer einen ereile, in dem es voller, an einem größeren Object und in innigerer Berührung mit demselben geschehe. Dahin aber zu gelangen, ist die Sprache das einzige sinnliche und – als aus der innersten Menschheit stammend, und nur in ihr möglich – menschliche Mittel, und zu diesem Zweck muß man sie brauchen und tauglich machen.

Daß man aber die Bestimmung des Menschen so festsetze, und sie weder in einer Wirkung, noch in der ganzen Menschheit, noch in der Dauer eines ganzen Daseyns suche, scheint mir nothwendig. Wer dies letztere thut, sieht den, für den er doch sorgen will, mehr oder weniger als ein Werkzeug zu fremden Zwecken an. Ein fühlendes und wirkendes Wesen kann die höchste Befriedigung nur in eigener That, und nur in Einem ungetheilten Augenblick, in der Gegenwart finden. Die Zukunft erinnert an Bedürfniß, und die Erinnerung der Vergangenheit ist wehmüthig oder kalt.

In dies Geschäft, die Sprache diesem höheren Bildungszweck zuzuführen, greift nun geradezu, (und zwar allein unter allen Künsten) die Dichtkunst ein, wenn dieselbe nemlich ihrem Endzweck vollkommene Genüge leistet. Denn alsdann bestimmt sie die Sprachfähigkeit (d. i. die Fähigkeit, innere Gedanken und Empfindungen und äußere Gegenstände vermöge eines sinnlichen Mediums, das zugleich Werk des Menschen und Ausdruck der Welt ist, gegenseitig aus einander zu erzeugen, oder vielmehr seiner selbst, indem man sich in beide theilt, klar zu werden) diese Fähigkeit bestimmt sie, thätig, und allein den Gesetzen der Einbildungskraft gemäß thätig zu seyn. Indem sie also den Menschen nöthigt, künstlerisch zu wirken, nöthigt sie ihn zugleich, nicht nur mit seiner ganzen Menschheit (denn das thut alle Kunst) sondern auch gerade auf die einzige Weise zu wirken, auf welche der Mensch vor sich selbst klar werden, und da von dieser Klarheit alle Ausbildung abhängt, auf welche er sich ausbilden kann.

Wer die Dichtkunst anders behandelt, und leider geschieht dies nur zu oft, der verwandelt sie bloß in eine Malerei und Musik durch Sprache oder in ein Raisonnement durch Bilder und erkauft einen größeren Umfang der Kunst durch einen beträchtlichen Verlust an Stärke. Um bis auf jenen eigentlichen Punkt zu gelangen, muß man, außer dem Künstler, zugleich in hohem Verstande Mensch seyn, und da nun neue mächtige Kräfte beschworen und bewegt werden, so gehört wieder mehr Künstlergewalt dazu, diese der Einbildungskraft zu unterwerfen. Da es aber in jenem Punkt durchaus darauf ankommt, daß der Mensch sich im Ganzen verstehe und bilde, so rückt man dem Ziele näher, je mehr sentimentalen und philosophischen Gehalt man den Werken der Dichtkunst giebt, oder vielmehr je mehr man die Kräfte des Menschen gerade aus dem Punkte bewegt, von dem aus sich alle auf Einmal aus der Stelle heben lassen. Darum hat unter allen Künsten wenigstens die Dichtkunst gewiß Fortschritte gemacht. Denn wenn gleich die Alten mehr sinnliche Schönheit der Sprache besitzen, so hat unsere Sprache – vermöge des Fortrückens der Menschheit überhaupt – eine feinere intellectuelle Ausbildung und eine den Menschen tiefer und innerlicher bewegende Kraft. Wo in Absicht der Kunst überhaupt die Alten unläugbar voranstehn, finden wir bei der wahren Eigenthümlichkeit der Dichtkunst aufs mindeste Ersatz.

Allein auch bei gleich richtiger Behandlung der Sprache kann man dieselbe mehr, als Gegenstände malend und Empfindungen ausdrückend brauchen, und mehr (indem sie dasselbe thut) wie ein bloßes Vehikel der Kraft, die, Anschauungen und Empfindungen auffassend, nur ihrer Thätigkeit Luft und Bahn sucht, und das Letztere scheint mir in Ihnen, vorzüglich in Vergleichung mit Göthe, charakteristisch. Bei gleichem Ziel und gleichen Resultaten ist es ein wichtiger Unterschied, von welcher Seite man ausgeht, und in der Sprache vereinigt sich einmal die Welt, die sie darstellt und der Mensch, der sie schaft. Sollte nicht Göthe mehr jene im Auge haben, nicht gleichsam seine anschauende und empfindende Kraft mit seiner ausdrückenden messen, darin oft ringen, und das Werkzeug anklagen, das er gebrauchen muß, die Sache – gerade darum weil er eine mehr auf Anschauung gehende Stimmung hat – mehr und deutlicher von demselben trennen? Sollten Sie hingegen – mit einer subjectiveren Stimmung – nicht mehr die Richtung, die Bahn überhaupt, als den einzelnen Gegenstand verfolgen, mehr seine Beziehung auf den Menschen (sein Abstammen aus ihm und sein Rückwirken auf ihn) als ihn selbst und getrennt ins Auge fassen, sollte darum der Ausdruck nicht ihn freiwilliger hervorrufen, und sollten Sie nicht seltner die Sprache der Armuth beschuldigen, ja sie weniger abgesondert von der Sache betrachten? Wenigstens scheint mir Göthe’s Sprache da, wo sie auf seine Weise (denn ich übergehe bei Ihnen beiden allgemeine Vorzüge) schön ist, sich vorzüglich durch die Reinheit des Maßes auszuzeichnen, in dem jeder Ausdruck die volle Sache, sie ganz und nichts als sie giebt. Wo es die Ihrige ist, da bewundre ich ein reiches und prächtiges Fortrollen der Ausdrücke, das uns mit sich fortreißt, jedes Bild, jede Empfindung bestimmt (aber nur das) hervorruft, und vor der folgenden wieder verlöscht. Sie haben beide auch im Stil, und ich glaube in gleichem Grade, das Verdienst, genau den Punkt zu treffen, in dem Objectivität und Subjectivität sich streng die Wage halten müssen. Insofern es aber der Sprache ausschließend zugehört, nicht bloß Zeichen eines Gegenstandes zu seyn, sondern denselben dem Menschen durch Intellectualisirung näher zu bringen, behandeln Sie dieselbe mehr ihrer Eigenthümlichkeit gemäß, und die Dichtkunst mehr, wie eine redende Kunst – als von der Seite, wo sie der bildenden verwandt ist.

Diese Betrachtungen hat Ihr Wallenstein im Ganzen bei mir erregt; Sie werden mich leicht überheben, nun noch ins Einzelne einzugehen. Aber ich erlasse es Ihnen nicht, es einmal mündlich zu thun. Verzeihen Sie nur, liebster Freund, daß ich mich hier so gehen ließ. Aber Sie kennen meine Natur und haben Duldsamkeit. Wenn ich die Schwierigkeiten fühle, einer Kritik, die es eben so sehr der Fähigkeiten, als der Werke seyn müßte, einen bestimmten Maßstab und nur eine hinlänglich verständliche Sprache zu geben, so möchte ich diese Manier für eine Verirrung halten, zu der mich nun einmal Anlage oder Gewohnheit verdammt. Aber dann scheint es mir doch wieder nöthig, nicht bloß die Regeln des Verfahrens, sondern auch die Muster und die Gränzen der Richtungen zu bestimmen, und so komme ich immer wieder ins alte Gleis zurück.

Das Einzige muß ich noch, ehe ich schließe, hinzufügen, daß Sie, meinem Urtheil nach, Ihrem Werk und eigentlich Wallensteins Tod Unrecht gethan haben, es als drei Stücke anzusehen, und das Ganze nur ein dramatisches Gedicht zu nennen. Hätte ich zu rathen gehabt, so hätte ich nur das letzte Stück, aber dies sehr eigentlich, als das wahre Trauerspiel, die ersten als eine Vorbereitung angesehen, den Leser in den von Ihnen vorbereiteten Gegenstand einzuführen – er hätte nun diese beiden Stücke bloß lesen, oder was besser war, sehen mögen. Wenigstens dünkt mich, wird die Kritik immer so urtheilen müssen. Als eignes Stück könnten sich wohl die Piccolomini nicht halten. Aber so ist nicht allein nichts darauf zu sagen, sondern Sie haben ein Muster gegeben, das nachahmen mag, wer Kraft dazu hat. Denn leicht ist es nicht, da die ersten Stücke – wenn sie, wie bei Ihnen, wirken sollen – nicht bloß ganz dramatisch, sondern bis auf die fehlende Auflösung allein, vollkommene Ganze seyn müssen. Zur unverbrüchlichen Regel machen, daß ein Stück alle Exposition schlechterdings in sich enthalten solle, auch wenn es schlechthin unmöglich oder schädlich seyn würde, können nur die, welche im Grunde alle Kunstwerke zu Kunststücken herabwürdigen möchten. Ueber den Gang in den Piccolomini’s hätte ich noch einiges zu bemerken, aber ich will schlechterdings nicht noch länger seyn.