Sie werden, liebster Freund, durch Buchhändlergelegenheit eine
Schrift bekommen, die ich eben habe drucken lassen,
und die ich Ihrer Nachsicht u. Güte empfehle. Sie bedarf der ersteren noch
besonders darum, weil ich, um den Druck nicht bis künftigen Winter
aufzuschieben, was mir zu lang schien, ich geeilt habe, damit vor dem
Sommer fertig zu werden, wo ich aufs Land gehe, u. die Arbeit hätte liegen
lassen müssen. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie an dieser Untersuchung über die Urbewohner Hispaniens u. der Art, wie ich sie
geführt habe, Gefallen fänden. Für mich hat dieser Theil der Geschichte, der
aller Ueberlieferung vorausgeht, u. wo man den Zustand der Völker nur aus Namen
u. Denkmalen erkennen kann, etwas ungemein Anziehendes. Die Völker und das
Menschengeschlecht sind in ihrem frühesten Leben, u. ihren Wanderungen in dieser
Epoche mehr der Natur selbst gleich, u. noch frei von allem Kleinlichen u.
Willkührlichen, was das individuelle Leben hinzufügt. Diese Neigung zur
Urgeschichte, um es kurz zu bezeichnen, hat mich auch bewogen, seit einiger Zeit
das Sanskrit zu studiren. Man hat dabei mit sehr
schlimmen Schwierigkeiten zu kämpfen, woran noch mehr die unbequeme Einrichtung
der Hülfsmittel, als die Sprache selbst, Schuld ist, aber man wird auch schon
bei jedem Schritt, möchte ich sagen, dafür reichlich durch die Sprache selbst
belohnt. Sie öfnet sich einem vom ersten Moment an, als der Urquell der
Sprachen, die man am eigenthümlichsten kennt, u. am liebsten
treibt, u. es mischt sich dadurch zu dem bloß linguistischen Interesse ein
bedeutendes Historisches. Ueber die Literatur möchte ich nicht so günstig
urtheilen. Doch mag es seyn, daß ich noch zu wenig davon weiß. Allein was ich
bis jetzt kenne, reproducirt mir weder den Genuß, den das Griechische gewährt,
noch stellt es etwas Neues, gleich Erhebendes an dessen Stelle. Es fehlt ihm,
dünkt mich, die freie, einfache, allgemeine Ansicht des Universum, die tiefe
Menschlichkeit, und das Maß, wodurch das Erhabne sich vom Riesenhaften
unterscheidet. Wie die Indische Poesie nun aber einmal ist, so muß man auch ihre
Eigenthümlichkeit beibehalten. In dem neulich durch
Schlegel
übersetzten Stück scheint mir schon ein
gewisses Accomodationssystem zu seyn, das ich nicht billigen kann. Selbst der
Hexameter giebt, ohne daß etwas Einzelnes geändert sey, einen Griechischen, der
Eigenthümlichkeit schädlichen Anklang. Dennoch ist es sehr gut, daß gerade
Schlegel
sich bei uns des Indischen angenommen hat. Er wird ein allgemeineres
Interesse dafür erwecken, als eine bloß sprachgelehrte Behandlung gethan
hätte.Diese Bemerkung bezieht sich auf
Schlegels Publikation der Indischen Bibliothek: vgl.
Rosane Rocher / Ludo Rocher (2013): Founders of Western
Indology. August Wilhelm von Schlegel and Henry Thomas Colebrooke in
Correspondence 1820–1837, Wiesbaden: Harrassowitz, 17 Anm. 65.
[FZ]
Die Schrift, von der ich eben redete, wird Ihnen,
liebster Freund, einen Begriff meiner jetzigen Lebensweise und meiner
Beschäftigungen geben. Ich arbeite außerdem, wenn auch unterbrochen, an einer,
soviel als möglich, vollständigen Darstellung der Amerikanischen Sprachen fort.
Es ist ein weitläuftiges Unternehmen, das einen wenn auch nicht einmal von der
Arbeit, aber selbst von der mit vielen Schwierigkeiten verknüpften Herausgabe
abschreckt. Allein ich bin einmal nicht unbedeutend vorgerückt, u.
mag auch leicht jetzt mehr Hülfsmittel zusammengebracht haben, als sonst einer
in Europa besitzt. Daher möchte ich nicht gern von dem
einmal Begonnenen ablassen. Ich habe schon gegen ein Duzend Sprachlehren fertig
ausgearbeitet liegen, wovon die ausführlichste u. interessanteste die der Mexicanischen Sprache ist. Ich bin auch schon in der
vorläufigen Kenntniß der noch nicht völlig ausgearbeiteten so weit gekommen, daß
ich übersehen kann, daß die Uebersicht des Ganzen zu nicht unwichtigen
Resultaten führen wird.
Bei der Akademie habe ich zwei Abhandlungen
vorgelesen, die ich Ihnen schicken werde, sobald sie, was da ein wenig langsam
zugeht, gedruckt werden. Die eine, die Sie gewiß noch im Laufe deß
Sommers erhalten, betrift das vergleichende
Sprachstudium, die andre die Aufgabe, welche der
Geschichtschreiber zu lösen hat. In dieser letzten habe ich zu
entwikeln gesucht, wie es eigentlich keine historische Wahrheit
in Erzählung weder einer einzelnen Thatsache, noch eines Zusammenhanges von
Begebenheiten giebt, wenn man nicht bis zu der unsichtbaren Idee hinabsteigt,
die sich in jedem Geschehenen offenbart. Ich habe darin die Geschichte mit der
Kunst verglichen, die auch nicht sowohl Nachahmung der Gestalt, als
Versinnlichung der in der Gestalt ruhenden Idee ist.
Aber ich habe Ihnen schon zu lange, liebster Freund, von mir u. dem, was mich
angeht gesprochen. Doch nehmen Sie seit Jahren einen so freundlichen Antheil
auch an meinen Studien, daß ich auch jetzt auf Ihre Theilnahme rechnen darf.
Ich gehe in wenigen Tagen nach Schlesien, u. wenn Sie mir
schreiben wollen, so bitte ich Sie, Ihre Briefe nach
Ottmachau
zu ad-
dressiren. Meine Frau u.
Caroline
, die Sie herzlich grüßen, begleiten mich, gehen aber von dort in die
Böhmischen Bäder. Vor dem Herbst kehren wir nicht hierher zurück.
Leben Sie recht wohl, und erhalten Sie mir Ihr gütiges u.
freundschaftliches Andenken. Mit den Gesinnungen der lebhaftesten
Hochachtung
der Ihrige,
Humboldt
Berlin, den 7. Mai,
1821.Darunter die Notiz von Welcker:
„erhalten zur Post d. 24. May Auf d.
Couvert ein Postzeichen des 12.t
“
An H. Professor u. Bibliothekar Welcker, Wohlgeb. in
Bonn
.