Tegel, den 26. October,
1825.
Ihr freundschaftlicher Brief vom 4. v. M. hat mir,
wie alle, die ich von Ihnen empfange, die herzlichste Freude gemacht, und ich
danke Ihnen, liebster Freund, auf das innigste dafür. Es ist meiner Frau und mir wirklich rührend gewesen, daß Sie
Sich des Geburtstags des 16. Mai erinnert haben, und Sie können gewiß überzeugt
seyn, daß auch in uns die Erinnerungen jener Zeit, wo Sie in unsrem Hause
lebten, nie erlöschen wird. Meine Frau u.
Caroline grüßen Sie auf das
freundschaftlichste. Ihre Reise nach
Berlin
würde uns, wenn sie gerade in eine Zeit getroffen hätte, wo wir
dort oder hier gewesen wären, unendliche Freude gemacht haben, allein als
Geschäftsreise, wie Sie sie mir schildern, hätte ich sie Ihnen selbst nicht
gewünscht. Es ist in
Berlin
doch Vieles, was Sie interessiren wird, auch Menschen, denen daran
liegt, Sie zu sehen, u. die Sie wieder gern sehen werden, und alles dies müssen
Sie in freier u. heitrer Muße genießen. Sehr schmerzhaft ist mir gewesen, was
Sie von Ihrem Vater sagen. Ich wünsche von
Herzen, daß seine Gesundheit sich wieder herstellen möge. – Ihren Philostrat habe ich freilich bis jetzt nur sehr flüchtig
ansehen können, allein ich lese u. studire gewiß noch Einzelnes darin. Wenn ich
mich jetzt meist auch mit sehr heterogenen Dingen beschäftige, so verlieren
meine frühern Beschäftigungen ihren Reiz für mich nicht, u. ich lese doch immer
noch sehr viel Griechisch u. Römisches. Ich hätte aber gewünscht, der Philostrat wäre Deutsch. Nun haben Sie einen ganzen
Theil des Publikums ausgeschlossen, u. einen sehr dankbaren, die Künstler. Ich
freue mich, aber bewundere auch Ihre rüstige Thätigkeit, liebster Freund, die
neben dem Lesen u. gewiß vielen andren Geschäften so Vieles zu Tage fördert.
Ihrem Theognis
sehe ich mit
wahrem Verlangen entgegen. Mir wird es immer unmöglich bleiben, viel drucken zu
lassen. Ich schreibe zum Druck zu zögernd u. langsam, und mache nicht bloß zu
dem, was ich schreibe, oft übermäßig große Vorstudien, sondern oft auch
Vorstudien zu Arbeiten, die ich nie mache, oder die nie erscheinen,
so daß auch von den Vorarbeiten niemand etwas erfährt. So habe ich im vergangnen
Winter gewiß vier Wochen mit den Sprachen der Südseeinseln zugebracht, u. mir
die Mühe gegeben ein ganzes Otaheitisches Evangelium Johannis
In Humboldts Nachlass, Varia Tahitiana
(Konvolut 2); s. Schwarz 1993, S. 59 Nr. 451. bloß nach dürftigen
Hülfsmitteln verwandter Dialecte durchzuarbeiten, ohne daß ich weiß, ob ich
davon werde je Gebrauch machen können. Es scheint mir aber nothwendig in den
Studien, die ich treibe, Vieles, auch zur Seite Liegendes, zu durchlaufen, bloß
um gewiß zu seyn, daß da nichts steckt, was den Behauptungen, die man machen
möchte, feindlich entgegentritt. Das Meiste aber, was in mir der Autorschaft
entgegenwirkt, liegt tiefer in meiner Ansicht des Lebens. Ich habe, so lange ich
in Geschäften war, mehr auf das Thun, als die Thaten, gehalten, u. halte im
litterärischen Leben mehr vom Lernen, als vom Hervorbringen. Ich habe einmal die
bestimmte Idee, daß man, ehe man dies Leben verläßt, soviel von inneren
menschlichen Erscheinungen, für die ich doch allein rechten Sinn habe, da mich
alles Andere nur vorübergehend berührt, kennen u. in sich aufnehmen muß, als nur
immer möglich ist. Ein mir neues wichtiges Buch, eine neue Lehre, eine neue
Sprache scheinen mir etwas, das ich der Nacht des Todes entrissen habe, und
machen mich innerlich viel mehr glücklich, als ich es aussprechen kann. Das
geringe Talent äußrer Hervorbringung, das ich besitze, ist auch gar nicht zu
vergleichen mit dem, wie ich wahrhaft sagen kann, viel ausgezeichneteren,
Verschiedenartiges u. Tiefes in mich aufzufassen, u. innerlich zu verknüpfen, u.
jeder Mensch muß doch seiner Individualität u. seinem charakteristischen Talent
nachgehen. Daß ich z. B. Sanskrit gelernt habe, kann ich in der Freude u.
Genugtuung, die es mir innerlich verschafft, mit keinem andren Gut u. keiner
andren Freude vergleichen. Es ist mir geradezu ein solcher Gewinn, wie es mir
war, in das Griechische einzugehen, u. da es sich mit dem Griechischen
glücklicherweise in mir verbindet, stellt es sich auf einmal auf eine viel
höhere Stufe. Den ganzen Sommer habe ich
Manus Gesetzbuch gelesen u. studirt,
großentheils mit dem Indischen Commentar, u. ob es gleich bei weitem die
Eindrücke nicht hinterlassen kann, welche die
Bhagavad Gita
macht, so gewährt
es mir doch einen ungemeinen Genuß.
Friedrich Schlegel
hat von beiden
Gedichten (verrathen Sie mich aber dem
Bruder nicht) wirklich ziemlich, wie der Blinde von der Farbe,
gesprochen, u. mit schneidender Systemssucht. Ich werde vermuthlich auf die fertige Abhandlung über die Gita
eine über den ManusDie Abhandlung über Manus Gesetzbuch wurde nicht fertiggestellt; die
Vorarbeiten befinden sich unter die Signatur Coll. ling. fol. 152 in der
Staatsbibliothek zu Berlin. folgen lassen, in der ich alle
metaphysischen Stellen, die zum Theil ganze Bücher sind, auf das sorgfältigste
durchgegangen bin. Ein großer Reiz des Alterthums, davon bin ich jetzt fest
überzeugt, liegt gewiß darin, daß eine Schrift aus klassischer Zeit nicht mehr
Gedanken eines Einzelnen, sondern einer Nation, eines Zeitalters scheint, u. der
Mensch will doch immer auf der breiten Basis der Menschheit ruhen, nicht ohne
geheime Ahndung, daß in dieser unmittelbarer die Gottheit liegt. – Sie haben
vielleicht, liebster Freund, aus den Zeitungen gesehen, daß ich an der Spitze
eines Kunstvereins stehe, der sich hier gebildet hat,
um die Hervorbringung u. Verbreitung von Kunstwerken zu befördern. Die Sache hat
sehr guten Fortgang u. wir mögen wohl schon 1,200 bis 1,300 Th. jährliche
Beiträge unterzeichnet besitzen. Ich werde so frei seyn, Ihnen einige Exemplare
des Status u. der Ankündigung zu überschicken, u. es würde uns sehr freuen, wenn
wir durch Sie auch von dorther Unterschriften erhielten. Der
Verein hat die Portofreiheit, u. wenn Sie uns etwas für unsren
Zweck überschicken wollten, müßten sie nur die Addresse an den
Verein richten (abzugeben bei mir, oder dem
Secretair Dr. Jüngken
) u. Ihren Namen
eigenhändig auf die Addresse schreiben. Natürlich muß in dem beigefügten Brief
zugleich nichts Anderes stehen, als was auf den Verein unmittelbar Bezug hat. –
Herrn Bach
habe
ich mit Vergnügen gesehen, u. freue mich zu hören, daß er noch hier ist. Von dem
sehr tadelnswürdigen Betragen
Heinrichs
hatte er mir erzählt. Die Suspension aber kann ich nicht billigen. Meiner Neigung
nach eignete sich die Sache zu einem Verweise u. seiner Belehrung, u. dann
konnte vieleher der Beleidigte die Civilklage anstellen, was er aber vielleicht
nicht gethan hätte. Wollte man weiter gehen, so war die Entlassung
unvermeidlich. Was sollte eine Suspension bewirken?Der Abschnitt zu Bach und Heinrich fehlt in
der Edition von Haym, da der Vorfall wohl als ehrenrührig angesehen wurde.
Vgl. zu Bach und seinem Konflikt mit Heinrich: Rosane Rocher / Ludo Rocher
(2013): Founders of Western Indology. August Wilhelm von
Schlegel and Henry Thomas Colebrooke in Correspondence 1820–1837,
Wiesbaden: Harrassowitz, S. 131 Anm. 128; Friedrich von Bezold (1920): Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
von der Gründung bis zum Jahr 1870, Bonn: Marcus & Weber, S.
238f. und 267f. [FZ] – Daß
Schlegel
viele erzürnen muß sehe ich auch
daraus, daß er gar nicht schreibt. Ich habe ihm im
Julius einen
Aufsatz geschickt, u. weiß noch nicht, ob er ihn empfangen hat.
Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie es von ihm herausbrächten, nemlich das
einfache Factum, ob ihm der Aufsatz zugekommen ist? Hat er ihn erhalten, so
bedarf es weiter nichts. Hätte er ihn aber nicht bekommen, dann bitte ich Sie,
es mir anzuzeigen. Ich ersuche Sie aber bestimmt, ihn nicht in meinem Namen zu
fragen, sondern nur so, als schiene es Ihnen aus meinem Briefe, daß ich ihm
etwas geschickt habe. Ich bin über sein Stillschweigen, das ich ganz begreiflich
finde, nicht im Mindesten empfindlich, u. er würde das unfehlbar denken, wenn
ich nach der Antwort fragen ließe.
Schlegel
hat wirklich ein seltenes
Talent, u. ein großes Verdient um mehr als Ein Fach des Wissens u. Denkens, aber
es wäre sehr zu wünschen, daß er wenigstens jetzt die Eigenheit verlöre, sich so
leicht durch etwas, das gar nicht mit dem, was er leisten kann, im Verhältniß
steht, von dem richtigen Wege abbringen zu lassen. Auch im Sanskrit, u. von dem was er darin geleistet, konnte er unglaublich
viel mehr, fast mit derselben Mühe thun. – Haben Sie
Bopp
vielleicht auf seiner Durchreise
durch Ihre Gegend gesehen? Er ist eine der stillen u. sehr anspruchlosen
Naturen, die aber in ihrem bestimmten Kreise sogar viel mehr zu Stande bringen,
als man ihnen anfangs zutraut. Ich halte ungemein viel auf seine Sanskrit Grammatik
. Schade nur ist
es, daß er nicht die Fundamentalkenntnisse des Lateinischen u. Griechischen hat,
die man bei uns bei jedem Philologen, nicht mit Unrecht, voraussetzt.Dieser Satz fehlt in der Edition von
Haym.–
Leben Sie nun herzlich wohl, theuer Freund. Mit der innigsten
Freundschaft
der Ihrige.
Humboldt