Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 01.07.1822<idno type="BBAW">92</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Grundlage der Edition: Krakau, Biblioteka Jagiellońska, 94 Briefe von H. v. Humboldt an F. Bopp, Autographen-Sammlung, Humboldt, aus der ehem. Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Nr. 12. – Druckkoll.: Jena, ThULB, Nachlass Leitzmann, Inv.-Nr. 92 Lefmann 1897, S. 24–26 Mattson 7225 Hamilton, Alexander: Hitopadesa in the Sanskrita language (London: Cox, son, and Raylis 1810) Hitopadeśa Humboldt, Wilhelm von: Ueber die in der Sanskrit-Sprache durch die Suffixa twâ und ya gebildeten Verbalformen, Indische Bibliothek 1, 1823, S. 433–473; 2, 1824, S. 71–134 Rāmāyana Ich bin seit mehreren Wochen gar nicht wohl … Humboldt, Wilhelm von Burgörner Bopp, Franz Eigenhändig Sanskrit FZ 11. November 2013 in Bearbeitung, an neue Vereinbarungen angepasst von AD 30. Januar 2014

Ich bin seit mehreren Wochen gar nicht wohl, sondern leide an einem hartnäckigen, zum Theil mit Husten verbundenem Fieber. Dies hatte mich sehr von allen litterarischen Beschäftigungen zurückgebracht, u. auch die Vollendung meines Aufsatzes, von dem ich Ew. Wohlgeb. neulich schrieb, aufgeschoben. Jetzt, da ich anfange wieder besser zu werden, bin ich dazu zurückgekehrt, u. muß Ew. Wohlgeb. in großer Beschämung um Verzeihung bitten, daß ich Sie in meinen früheren Briefen über eine Stelle des Ramayana I. 1. sl. 61. gewiß sehr irre geführt habe. Sie konnten meinen Irrthum nicht bemerken, da Sie, soviel ich weiß, den Text nicht besitzen, u. mein Fehler nur aus dem Zusammenhange der Stelle mit den vorhergehenden u. folgenden Sloken sichtbar werden konnte. Ich eile aber jetzt mein Versehen gut zu machen, u. setze nun die ganze Stelle, so weit es der Zusammenhang fordert, in Abschrift her:

Ramayana. B. 1. Abschn. 1.

tato jñātivadhaṃ śrutvā rakṣastrailokyaviśrutaṃ sl. 57. nāmato rāvaṇo nāma kāmarupo mahābalaḥ rākṣasādhipatiḥ śūro rāvaṇaḥ krodamūrcchitaḥ 58. sahāyaṃ varayāmāsa mārocaṃ nāma rākṣasaṃ vāryyamāṇopi vahuśo mārocena sa ravaṇaḥ sl. 59. na virodho balavatā kṣamo rāvaṇa tena te anādṛtya tu tatvākyaṃ rāvaṇaḥ kālacoditaḥ 60. jagāma sahamāroco rāmāśramapadaṃ tataḥ tena māyāvinā dūramapavāhya nṛpātmajai 61. rāvano = ntaramāsādya sotāṃ surasutopamāṃ jahāra bhāryyāṃ rāmasya hatvāṃ gṛdhraṃ jaṭāyuṣaṃ 62. rāmopi hatamāroco nivṛtto vahu cintayan sūnyaṃ dṛṣṭvāśramapadaṃ vilalāpa malakṣmaṇaḥ

Ich hatte Ew. Wohlgebohren neulich geschrieben, u. selbst immer fälschlich vorausgesetzt, daß die Worte in sl. 61. a. tena māyāvinā auf den Ravana giengen, u. alsdann gewann Sinn u. Construction eine ganz andere Gestalt. Allein wenn man die ganze Reihe der Verse im Zusammenhange liest, so erscheint klar, daß damit nicht Ravana, sondern Maritscha gemeint ist. Indem dieser den Rama u. seinen Bruder entfernte, raubte jener die Sita. Könnte darüber noch ein Zweifel sein, so wird er dadurch gelöst, daß sl. 62. gesagt wird, daß Rama den Maritscha getödtet hatte, was offenbar beweist, daß dieser sich an ihn, u. in seine Nähe gemacht hatte. Setzt man nun dies voraus, so ist es nicht mehr nothwendig, den Instrumentalis in sl. 61. a. ausschließlich zu der gleich auf ihn folgenden Ver- balform in ya zu ziehen, u. diese, wenn man sie participialiter nimmt, passiv zu übersetzen. Ich construire nämlich nun so: rāvaṇo jahāra sotāṃ tena māyāvitā apavāhya nṛpātmajai Participialiter übersetze ich entweder: Ravana raubte die Sita vermittelst (mit Hülfe) des Zaub die beiden Fürstenentsproßnen weit weg entführenden Zauberers (nämlich des Maritscha) oder: Ravana raubte die Sita vermittelst des Zauberers, indem dieser weit wegführte die Fürstenentsproßnen. In beiden Fällen wird der Instrumentalis vom Hauptverbum jahāra regiert, aber in dem ersten die Verbalform als ein Attributivum zu dem Instrumentalis gezogen, in der zweiten die Verbalform als ein absoluter Participialsatz im Nominativ behandelt. Der Gebrauch des Instrumentalis rechtfertigt sich gewiß sehr auf diese Weise. Denn er kann ebensowohl das nähere, als entferntere Mittel der Handlung anzeigen, u. in der That war Maritscha’s Wegführen Ramas das Mittel, durch welches der Raub der Sita erst möglich wurde. Ich muß noch bemerken, daß die Englische Uebersetzung ausdrücklich die Worte tena māyāvinā durch by the illusive form assuming Mareecha giebt. Nimmt man die Stelle auf diese Weise, so schließt sich eine des Hitopadesa , die sonst auch nicht leicht zu erklären war, unmittelbar an dieselbe an. Sie steht Londoner Ausg. S. 25. Z. 9. 10. tatastayā kuṭṭinyā tatkāraṇaṃ jāraṃ parijñāya lolāvato guptena daṃḍena daṃḍitā . Hier ziehe ich auch den Instrumentalis kuṭṭinyā auf das participium, das den Satz beschließt, über und über-setze: sie wurde mit einer heimlichen Strafe bestraft durch, vermittelst, mit Hülfe der den Buhlen erkannt habenden Kupplerin. So ist Alles leicht, da ich bisher glaubte parijñāya passiv nehmen, oder den Mann, von dem gar nicht die Siegelwachsfleck, nicht lesbar Rede ist, herbeiholen zu müssen. Die Bestrafung durch die KupplerinSiegelwachsfleck, nicht lesbar verstehe ich wieder nur so, daß die Erkennung u. Entdeckung der Kupplerin die Strafe erst möglich machte, nicht daß die Kupplerin sie verhängte, oder vollzog.

Daß beide Stellen sich übrigens ebensowohl u. besser als Gerundia erklären lassen, versteht sich von selbst.

Was ich nun sagen wollte, ist, daß die Stelle im Ramayana keine neue Ansicht in die Theorie dieser Verbalformen bringt, und daß, meinen jetzigen Untersuchungen zufolge, mir keine Stelle bekannt ist, wirklich keine einzige, welche sich nicht durch ein Participium im Activo erklären ließe, u. die nothwendig passiv genommen werden müßte, so daß diese Einwendung gegen die Participialerklärung mir unstatthaft scheint.

Ich bin aber demungeachtet fester, als je, der Meynung, daß die Verbalformen in tvā u. ya wirklich Gerundia sind, u. hoffe Ew. Wohlgeb. meine Abhandlung gewiß noch in diesem Monat zuschicken zu können.

Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft der Ihrige, Humboldt. Burgörner bei Hettstädt , den 1. Jul. 1822.